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2 Jahre gesammelt, in drei Stunden verteilt

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Datum:
20. Okt. 2003

AK Polenhilfe informiert - Oktober 2003

Für die Herbstferien des Jahres 2003 hatten wir seit langem unseren Transport geplant, der erstmals in die Dorfgemeinde Mąkoszyn bei Konin gehen sollte. Nach Zentralpolen startete ein Lastwagen mit 7,5 Tonnen Kleidung, Spielsachen, Schuhen, sowie Kinderwagen, Fahrrädern und Elektrogeräten. Außerdem fuhren auch zwei voll beladene Pkws mit. Sie transportierten neben 4 Erwachsenen und 7 Kindern auch die restlichen Sachen, die wir im normalen Transport nicht mitnehmen durften. Leider hatte Hajo keinen Urlaub bekommen und konnte deshalb nicht mitfahren. Gemeinsam mit seinen Söhnen unterstützte er uns aber in Köln tatkräftig beim Beladen des LKWs.

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Die Erledigung der Zollformalitäten ging noch schleppender voran als in den Vorjahren - die Beamten leisteten offenbar „Dienst nach Vorschrift“. Sie wurde aber dank der Ausdauer und des Durchsetzungsvermögens von Leszek Paszkiet letztendlich zu unserer Zufriedenheit durchgeführt, so dass wir den Lastwagen zusammen mit vielen Helfern vor Ort entladen konnten. Die nicht mehr genutzte Grundschule vor Ort stand uns zur Lagerung und Verteilung der Sachen zur Verfügung. Hier konnten wir die Kleidung nach Sorten sortiert in den einzelnen Klassenräumen verteilen.

Wir selbst wohnten in verschiedenen Familien und konnten so am Verteilungstag hautnah die gespannte, aber freudige Stimmung erleben, die an die Vorfreude auf die Bescherung an Heiligabend erinnerte. Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Verteilung war die Eingangstür von einer Menschentraube belagert. Nachdem Leszek ein paar einführende Regeln erklärt hatte, konnten die Menschen sich Dinge für ihren persönlichen Bedarf aussuchen. Insgesamt kamen etwa 250 Personen aus Mąkoszyn sowie aus mehreren umliegenden Dörfern.

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Nach dem Rosenkranz hatte der Pastor alle Leute in die Schule eingeladen. Am nächsten Tag beschwerte sich eine Frau bei ihm, dass sie nichts von der Verteilung mitbekommen hatte. Seine Antwort: „ Wären Sie am Sonntag in der Kirche oder gestern ein Rosenkranz gewesen, hätten Sie davon erfahren“. Nach ca. 3 Stunden waren die Sachen nahezu vollständig verteilt und wurden auf Fahrrädern, mit kleinen Autos, Traktoren oder Pferdefuhrwerken abtransportiert.

Die Menschen waren sehr glücklich über gut erhaltene Kleidungsstücke. „Die kann man sogar sonntags für die Kirche anziehen“, sagte uns eine alte Frau. Besonders begehrt waren Fahrräder, die für viele das einzige Fortbewegungsmittel darstellen.

Zum Schluss konnten wir noch mit einer finanziellen Hilfe von 200 Euro einem älteren Ehepaar einen Anschluss für fließendes Wasser legen lassen. Bis dahin verfügte es nur über einen Brunnen, der im Sommer regelmäßig ausgetrocknete, so dass sie mit dem Pferdewagen täglich Wasser für sich selbst und für die Tiere holen mussten. Für uns war es ein bewegender Moment, als sie sich mit Tränen in den Augen für die Spende bedankten.

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Die Verständigung war nicht allein den Erwachsenen vorbehalten, auch die Kinder fanden Möglichkeiten sich ohne Kenntnisse der jeweils anderen Sprache zu verständigen. Bei Verständi­gungs­problemen konnten Dominik, Tobias und Klara übersetzen. Bei den Erwachsenen glänzte Edith Gasper mit Diskussionen auf Polnisch, dass sie sich selbst beigebracht hat.

Die Situation in Polen ist nach wie vor schwierig. Bei den Bauern ist die Angst allgegenwärtig, dass ihre Lage sich nach dem EU-Beitritt noch verschlechtern wird. Viele Familien leben am Rande des Existenzminimums. Paradoxerweise geht es den Familien besser, die mit den Großeltern, die Rente beziehen, zusammenwohnen. Die Rente bessert nämlich die niedrigen Verdienste auf. Viele der Bauern arbeiten in Deutschland, weil es in Polen für sie keine Arbeitsplätze gibt. Wir konnten diesmal viele Kontakte mit kinderreichen Familien aufnehmen (bis zu 12 Kinder). Diese Familien haben unsere Hilfe besonders nötig.

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Wir glauben, mit unserem Transport wieder einen kleinen Schritt zur Völkerverständigung gemacht zu haben. Wir mussten viele Fragen beantworten: „Warum wollen die Deutschen ein Mahnmal in Berlin bauen und sich selbst als Opfer darstellen?“ „Warum waren die Deutschen nicht auf der Seite von Amerika im Irak-Krieg?“. Dazu hat mich ein Satz, den ich in einer Zeitung gelesen habe, nachdenklich gemacht: „Wir in Polen haben 50 Jahre lang im Irrenhaus gelebt, wir wären froh gewesen, wenn uns da jemand herausgeholfen hätte“. Die Kriegsgeschichte ist in Polen noch sehr lebendig und die Verarbeitung beginnt eigentlich erst seit der Öffnung der Grenzen. Man muss sehr behutsam damit umgehen. Die Deutschen sind gerade unter den jungen Leuten populär. Es ist wichtig, diesem Umstand Rechnung zu tragen und nicht neue, breite Gräben zu errichten.

In „Solidarnosc'“-Zeiten und beim Neuanfang in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts konnten viele junge Polen Karrieren machen, die nur zu Umbruchzeiten möglich waren. Jetzt drängt die nächste Generation in großer Zahl auf den Arbeitsmarkt. Sie ist gut ausgebildet, hat aber oft keine Chance auf einen entsprechenden Arbeitsplatz. Für viele von ihnen ist daher die neue Gesellschaft nur noch „das System“, das sie ausgrenzt, so wie der Kommunismus ihre Väter ausgrenzte. Stahlwerke, Bergbau, Landwirtschaft – alles das, wofür Polen seit Jahrhunderten stand, befindet sich im Umbruch; besser gesagt, vieles wird „umstrukturiert“, und das heißt konkret: Betriebe werden geschlossen, immer mehr Menschen werden arbeitslos, da neue Wirtschaftszweige nicht im gleichen Maß aufgebaut werden. Eine alte Weisheit sagt: Vernichten geht schnell, Neues aufzubauen dauert länger und ist sehr teuer.

Wir sind sehr froh, dass wir mit Ihrer Unterstützung den Menschen in Polen helfen können und danken auf diesem Wege allen, die mit Sach- oder Geldspenden sowie ihrer tatkräftigen Hilfe beim Transportieren der Sachen und beim Beladen des LKWs dazu beigetragen haben.

 

Für den AK Polenhilfe:

Edith Gasper und Leszek Paszkiet

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