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Wer fühlt sich heute wie ein Aussätziger? (6. Sonntag im Jahreskreis 2003)

Datum:
16. Feb. 2003
Von:
Heinz Büsching

Wer ist heute unrein?
Wer wird heute verstoßen?
Wer fühlt sich heute wie ein Aussätziger?

Dieses Evangelium lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die gesellschaftlichen Gruppen, die verachtet werden; auf die Menschen, die darunter leiden, dass sie nicht respektiert sind. Um nur einige Beispiele zu nennen: In der weiten Welt sind das - je nach Gegend - Farbige, Andersgläubige, Aidskranke. Bei uns sind das eher: Ausländer, Suchtkranke, Behinderte, Obdachlose.

Noch immer werden bei uns von Kindheit an Pfui-Grenzen eingeimpft, klassisch formuliert in dem Lied: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern. Berührungsängste gibt es übrigens auch vor unappetitlichen Pflegefällen, obwohl ja keiner von uns davor sicher ist, mal selbst ein unappetitlicher Pflegefall zu werden. Die Herausforderung dieses Evangeliums liegt darin, dass Jesus nicht Bewunderer will, sondern Nachfolger. Die Herausforderung ist, dass wir handeln wie er. 

Handeln wie er: den Außenseiter wahrnehmen, die Hand ausstrecken, Kontakt aufnehmen, das Menschenmögliche tun, ihn in die Gemeinschaft zu holen.
In Worten aus der Ferne sind wir da sehr edel. Aber wenn uns das Elend vor die Augen kommt und vor die Nase, dann kriegen wir es meist elegant hin, alle auszuweichen, was stinkt, was unsympathisch ist, was fault und verfällt. Wir verspüren die Neigung, die Angeschlagenen dem Heiland zu überlassen, den Krankenschwestern, den Pflegerinnen, dem Sozialamt und notfalls der Polizei. Diese Neigung ist sehr menschlich. Und es gibt ja in der Tat auch eine vernünftige Aufgabenteilung. Aber damit sind wir nicht aus der Verantwortung. Und wenn wir dieses Evangelium an uns heranlassen, dann müssen wir, auch wenn unsere Gefühle am liebsten streiken würden: im richtigen Augenblick die Hand ausstrecken, berühren, anpacken, helfen. An dieser Stelle wird mir jedenfalls klar, dass ich mit der reinen Menschlichkeit nicht weiterkomme, dass bürgerliche Anständigkeit allein nicht reicht. Wenn ich an die Ekelschranke komme, dann brauche ich die Hilfe dessen, der zum ersten Mal die Hand ausgestreckt und die Aussätzigen berührt hat. Dann muss ich zu ihm sagen: Geh mit mir und hilf mir. Ohne dich bringe ich es nicht fertig.

Auf die Frage: Warum tägliches Gebet, warum Sonntagsmesse, ist auch dies eine Antwort: Ohne diese Kraftquellen habe ich gegen meinen Egoismus keine Chance. Und ich weiß, dass mein Christsein erst anfängt, wenn ich aus meinem Egoismus herauskomme. 

Zwei Anmerkungen. Erstens. Die Zufluchtsstätten für Aussätzige sind eine christliche Erfindung. Dieses Evangelium hier war die Initialzündung. Und sämtliche Aussätzigenstationen dieser Welt werden bis zum heutigen Tag von Christen geführt. Weder der Islam, noch der Buddhismus noch der Hinduismus unterhalten Aussätzigenstationen. Wenn es um die Ärmsten der Armen geht, um zupackende Hilfe und die Überwindung von Pfuigrenzen, dann braucht man offensichtlich die persönliche Christusbeziehung.

Zweite Anmerkung. Unsere Firmanden machen alle ein kleines Pfarrpraktikum. Das gehört mit zur Vorbereitung auf die Firmung. Erstaunlich viele Firmanden haben sich dazu gemeldet, einmal zu den Hennefer Obdachlosen zu gehen; natürlich unter den Fittichen eines erfahrenen Profis. Obdachlose, Nichtsesshafte werden von uns schon durch unsere verächtlichen Bezeichnungen ausgestoßen: Penner, sagen wir, oder Wermutbrüder. Zu diesen Hennefer Aussätzigen mal freundlich hinzugehen, sie hautnah wahrzunehmen und sich für ihr Schicksal zu interessieren - das nenne ich guten Geist. 

Überlegen Sie doch einmal, auf welchen Außenseiter, welches schwarze Schaf, welchen Gemiedenen in Ihrer Umgebung Sie zugehen sollten, auch wenn Sie dabei eine Pfuigrenze überschreiten müssen.