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Was machen Sie am Karfreitag? (Palmsonntag 2003)

Datum:
13. Apr. 2003
Von:
Heinz Büsching

Der Irak hängt am Kreuz. Hass, Grausamkeit, Verlassenheit, Todesnot, unschuldig vergossenes Blut, die Faszination der Gewalt, die Arroganz der Macht – nichts fehlt. Der Irak ist Karfreitag total.

Erstkommunionkinder, die über Jesus sprechen und sich sein Leben auf den Leib rücken lassen, Erstkommunionkinder fragen entsetzt: Ist das mit dem Kreuz wirklich wahr? Ist es wirklich wahr, dass Jesus so schlimm gestorben ist? Ist es wirklich wahr, dass Menschen sich so Böses antun?

Ja, es ist wahr. Golgotha und Irak sind unglaublich wahr. Nicht nur der Irak ist schon lange zum Golgotha geworden. Viele Orte der Erde sind Golgotha. Orte, wo unschuldig und elend gestorben wird, namenlose Orte; Orte, die nicht im Fernsehen erscheinen; Orte, von denen niemals ein Geschichtsbuch erzählen wird.

Ich habe einen Albtraum. Menschen lehnen sich im Fernsehsessel zurück und gucken zu, wie ein Volk ein anderes Volk unter seine Kontrolle bringt mit Blut und Eisen. Natürlich sagen sie: wie schrecklich. Natürlich sagen sie: ich muss mich informieren, und sie haben sogar recht damit. Aber mein Albtraum fragt, ob nicht mancher Fernsehzuschauer auch von der Faszination der Gewalt erreicht wird. Ob es da nicht auch ein wonniges Gruseln gibt, einen wohligen Schauder. Das ist ja alles spannender als ein Krimi; erregender als ein Horrorfilm. Man wird schmerzfrei und bequem Zeuge einer Weltsensation. Fernsehmacher kennen ihre Zuschauer, sie definieren ihre moderne Kriegsberichterstattung als Mega-Event aus Information und Unterhaltung. Und Saddam Hussein kommt unter Garantie in die Geschichtsbücher, ähnlich wie Hitler, Stalin, Napoleon, Friedrich der Große, Karl der Große, Alexander der Große und alle die anderen Mächtigen, die hunderttausende, ja Millionen in den Tod geschickt haben. Die Herren über Leben und Tod sind bei uns die Großen.

Wenn Sie zum Karfreitagsgottesdienst kommen, werden Sie kein wonniges Gruseln erleben, keinen wohligen Schauder, nicht die Faszination der Macht. In diesem Sinn ist hier am Karfreitag nichts los. Im Karfreitagsgottesdienst wird Macht enttarnt. Die Illusion der Macht verschwimmt. Im Karfreitagsgottesdienst begegnen Sie nicht dem Vertreter der Macht, sondern dem geschundenen Menschen, dem ausgelieferten, wehrlosen, kaputtgemachten Menschen in der Gestalt dieses Jesus von Nazaret.

Was bedeutet uns der Tod Jesu? Darauf gibt es viele Antworten. Eine Antwort, die mir sehr nahe geht, ist: dieser Tod offenbart Jesu Solidarität mit den Vergessenen, sein Einswerden mit den elend gestorbenen Armen und Kleinen. Der Karfreitag ist die solidarische und mitfühlende Erinnerung an das Schicksal der Milliarden von Menschen, mit denen im Laufe der menschlichen Geschichte Schindluder getrieben worden ist.

Wir haben noch einmal unsere Pietà nach vorn geholt, die Schmerzensmutter mit ihrem toten Sohn. Was sagt die Hand, die sie erhebt? Die Kinder haben es spontan gedeutet: Was habt ihr mit meinem Sohn gemacht? Wie viele Mütter im Irak und überall erheben in diesen Tagen die Hände!

Die Kinder fanden noch eine andere Deutung der erhobenen Hand, nämlich: Maria betet. Sie betet: Gott, lass meinen Sohn auferstehen. Darum werden wir im Karfreitagsgottesdienst beten: Gott, lass den Irak auferstehen.

Damit der Karfreitagsgottesdienst unsere Solidarität mit den Leidenden ausdrückt und damit er zum Friedensgebet für den Irak wird, müssen wir die Liturgie nicht ändern. Wir müssen nur in diesem Jesus von Nazaret den gequälten Menschen sehen – und in ihm die Hoffnung.

Was machen Sie am Karfreitag?