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Was kann ich als Christ von den Kamelen lernen? (3. Adventssonntag 2002)

Datum:
15. Dez. 2002
Von:
Heinz Büsching

Die Kamele sind schon unterwegs.

Ich denke jetzt zuerst mal an die aus dem Morgenland. Wenn die pünktlich an der Krippe ankommen wollen, müssen sie längst gestartet sein. Vom Zweistromland bis Palästina sind es 1000 Kilometer. Und sie müssen ja erst nach Jerusalem, zu Herodes, um nach dem neugeborenen König zu fragen, und von da nach Betlehem, immer dem Stern nach, bis sie das Kind finden, dem sie huldigen wollen; ach so, natürlich nicht die Kamele, sondern die Könige, aber was wären die Könige ohne Kamele. Ohne die Kamele wären die nie an der Krippe angekommen. Ein Lob den Kamelen. Sie gehören zur Krippe. Keine Krippe ohne Kamele.

Natürlich erst ab dem 6. Januar. Das bedeutet eine gewisse Verspätung. Ein richtiges Kamel kommt schon mal zu spät. Aber ein richtiges Kamel kommt immer an. Vor allem bei den Kindern. Wenn ich mal den 6. Januar einen Augenblick vorwegnehme – ich stelle mir die Kinder an der Krippe vor: Manche Kinder bewundern die Kamele mehr als die Könige.

Mir fällt Jesu Wort ein: Eher kommt ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel. Das klingt fast so, als wären auch dem Heiland die Kamele sympathischer als die Millionäre. Aber das ist wohl ein bisschen zu viel Phantasie. Es ändert gleichwohl nichts an dem wohlwollenden Interesse, das Kamele allenthalben genießen.

Das muss Gründe haben. An den Kamelen muss was dran sein. Mit Schönheit kann es nichts zu tun haben. Denn schön sind sie nicht. Wer möchte schon aussehen wie ein Kamel? Um der Wahrheit die Ehre zu geben: sie sind potthässlich. Und eigensinnig sind sie auch. Das weiß ich noch aus Karl May. Aber sie sind ausdauernd. Sie halten durch. Sie halten durch, wo andere keine Lust haben. Sie halten durch, wo andere auf der Strecke bleiben. Lange Durststrecken halten sie durch. Lange Durststrecken schaffen nur Kamele. Wenn der Weg durch die Wüste für die Kamele nur Privatsache wäre, wenn es sich, sagen wir mal, nur um Selbstverwirklichungskamele handelte, dann wären sie für mich noch ziemlich uninteressant. Aber so ist es ja nicht.

Ein Kamel ist man immer für andere. Kamele tragen. Kamele tragen andrer Leut‘s Lasten. Kamele tragen nicht nur Lasten, sondern auch Menschen. Bei Karl May habe ich gelesen, dass sie sich auch schon mal dagegen wehren, jemanden bei sich aufsteigen zu lassen, aber schließlich lassen sie es ja doch, und dann tragen sie so einen vergleichsweise schlappen Menschen über unglaubliche Wüsten-Wege, und im Gehen schaukeln sie, wobei nicht so ganz klar ist, ob sie ihn vom Rücken runterschaukeln wollen oder ob sie den Reiter wiegen wie die Mutter ihr Kind.

Die Kamele sind längst unterwegs. Nicht nur die aus dem Morgenland. Wären Sie sehr beleidigt, wenn ich Sie fragen würde: Sind Sie auch so ein Kamel? Wenn Sie an die Lasten denken, die Sie auf dem Buckel haben, und an die Menschen, die Ihnen aufgeladen sind – vielleicht haben Sie es selbst schon einmal gesagt: Was bin ich doch für ein Kamel!

Neulich sah ein Autofahrer mitten im Berufsverkehr drei Kamele auf dem Bürgersteig dahertraben, Original-Kamele, mit hohem Hals, großen Höckern und wiegendem Schritt. Es war ein echt exotisches Erlebnis. Der Autofahrer dachte zuerst, er träume. Dann überlegte er, ob ein Zirkus in der Nähe sei. Schließlich kam ihm ein ganz anderer Gedanke. Könnte es sein, dachte er, dass die Welt uns Christen auch so ungläubig anstarrt, wenn wir auftauchen, wenn wir mal als Christen erkennbar sind? Stellen Sie sich vor, jemand bekennt mitten im modernen Leben: Ja, ich bin Christ, ich gehöre zur Kirche, ich mache sogar richtig mit – ob er nicht auch angestarrt wird wie eine exotische Erscheinung, guck mal, am Straßenrand der Moderne ein richtiges Kamel?

Zum Lob der Kamele muss ich noch etwas nachtragen. Ihr Selbstbewusstsein ist riesig, ja unerschütterlich. Es macht einem Kamel nicht das Geringste aus, wenn man es ein Kamel nennt. Kamele spüren wohl in jedem Augenblick die sagenhaften Reserven, die sie in ihren Höckern tragen.

Die guten alten Kamele sind schon lange unterwegs, und sie sind es noch immer. Und jetzt meine ich nicht die aus dem Morgenland, sondern die von heute: die Lastenträger, die, die andere mitschleppen, die auf den Durststrecken nicht aufgeben, die auf dem Weg sind zum Kind, zum Friedensfürsten, zum Heiland der Welt. Und diese guten alten Kamele sind mir lieber als das moderne Blech.

Der Prophet Jesaja hat eine Vision. Er sieht: Am Tag der Erscheinung des Herrn, am großen Tag, an dem der Herr in seiner Herrlichkeit erscheint, wird das himmlische Jerusalem überflutet von Kamelen, von Dromedaren aus Madian und Epha. Ich hoffe zuversichtlich, dass die Kamele von Hennef dabei sind.

Ich will sie nicht naiv und unverblümt dazu aufrufen, ein Kamel zu werden, oder bestätigen, dass Sie schon eins sind. Das Schwärmen für Kamele hat irgendwo auch seine Grenze. Vielleicht könnten wir uns einigen auf die Frage:

Was kann ich als Christ von den Kamelen lernen?