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Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. (Freitag der 4. Woche der Fastenzeit 2020)

2020-03-27_Corona-Predigt
Datum:
27. März 2020
Von:
Christoph Jansen

Heute war die Leserbriefseite meiner Tageszeitung voll von empörten Beiträgen. Der Bonner Stadtdirektor hatte dazu aufgerufen, Verstöße gegen das Kontaktverbot zu melden. Viele sehen darin den Aufruf, andere zu denunzieren und anzuklagen. Sicher, die Eindämmung des Coronavirus ist wichtig und unser aller Ziel, aber wer andere denunziert, anklagt, verurteilt oder verrät, verstößt gegen das wichtigste Gebot, nämlich gegen das der Nächstenliebe.

Vielleicht denken Sie jetzt, dass die Missachtung des Kontaktverbotes ebenfalls dem Gebot der Nächstenliebe widerspricht, weil jene, die sich vor dem Virus nicht ausreichend schützen, sich und andere mit ihrem Verhalten gefährden. Das ist selbstverständlich richtig, aber rechtfertigt das Fehlverhalten der anderen den Verrat, die Vorverurteilung?

Weiß ich denn, ob andere das Kontaktverbot leichtfertig missachten? Vielleicht treffe ich auf eine Großfamilie, ergänzt durch Großeltern in derselben häuslichen Gemeinschaft, die gemeinsam unterwegs sind und es sein dürfen. Vielleicht leidet die dritte Person in der Gruppe, die mir begegnet, so sehr an der verordneten physischen Einsamkeit, dass es das kleinere Übel ist, gemeinsam zu gehen. Und vielleicht trifft der, der andere verurteilt, abends in seinem Haus, wo das Ordnungsamt nicht hinkommt, zahlreiche Freundinnen und Freunde und setzt sich seine Gäste der allseits bekannten Ansteckungsgefahr aus, weil die Regeln, die im öffentlichen Raum gelten, im privaten Umfeld nicht geahndet werden.

Jesus hat auf dieses Dilemma, was richtig ist, eine passende Antwort, ein Bildwort, das klar macht, was wir tun können. Er sagt: "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?" (Mt 7, 1.3)

Jesus sagt mir: Sieh zuerst einmal auf dich. Was tust du? Was davon ist gut und was schlecht? Was sind deine Fehler? Er sagt nicht: Suche so lange die Fehler bei dem Anderen, bis du welche gefunden hast, und wenn sie auch noch so klein sind. Seine Frage lautet immer: Was kannst du tun? Er fragt niemals: Was machen die anderen?

Andere Menschen erziehen oder verändern, das ist eine unendlich schwere und oft erfolglose Mission. Sich selbst verändern ist viel besser, viel eher erfolgreich. Auch wenn es viel schwerer ist, sich selber ehrlich zu beurteilen, als mit dem Finger auf andere zu zeigen. Das gilt übrigens nicht nur in Zeiten der Coronakrise, sondern immer.

Die Fastenzeit ist eine Zeit der Umkehr. Vielleicht sind die ungewöhnlichen Tage dieser Fastenzeit eine ganz besondere Chance, dieses Umkehren ernst zu nehmen. Zukunftsforscher und Sozialwissenschaftler reden längst nicht mehr nur von den Kosten und Gefahren der Pandemie, sondern immer häufiger von den Chancen, dass sich die Gesellschaft - und das ist jeder Einzelne von uns - zum Positiven verändert. Sehen wir auf unsere Schwachstellen. Versuchen wir, uns zum Guten zu verändern.

Und im Blick auf die anderen, die vermeintlichen Sünder denken wir an das, was Jesus der Sünderin sagt: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.

Viele Grüße vom Warther Kirchberg

Christoph Jansen