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Predigt am 3. Sonntag im Jahreskreis C

Datum:
23. Jan. 2022
Von:
cj

Liebe Christen,

 

haben Sie auch schon mal bei einer Telefonhotline angerufen und sind solange weitergeleitet worden, bis entweder die Leitung oder Sie selbst entnervt zusammengebrochen sind?

Haben Sie auch schon mal Ihrer Not freien Lauf gelassen und dann den grauenhaften Satz gehört: „Tut mir leid, aber für diese Dinge bin ich nicht zuständig…“

Manch ein Großbetrieb krankt daran, daß einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur einen kleinen Einblick in ihren eigenen beruflichen Bereich haben und sich für andere Unternehmensteile einfach nicht zuständig fühlen. 

Kirche ist nun – auf ihre ganz eigene Art – irgendwie auch ein Großunternehmen. Und sie weiß, wie wichtig ihr die Identifikation mit dem großen Ganzen ist. 

In Kirche und Gemeinde gibt es viele Menschen, die unterschiedlichste Aufgaben erledigen. Und da ist es ganz gleich, wer von uns haupt- und wer ehrenamtlich tätig ist, wenn jemand kommt und in Not ist oder ein Problem hat, darf niemand ihm diesen schlimmen Satz sagen: Tut mir leid, dafür bin ich nicht zuständig“.

Es ist einfach falsch. Ich bin zuständig, sobald mich einer fragt. Und selbst wenn es Menschen in unserer Gemeinde oder in der Kirche gibt, die sich besser auskennen und zu denen ich vermitteln kann, bin ich doch so lange zuständig und verantwortlich, bis diese Vermittlung funktioniert! Das nennt sich Delegation.

Ich möchte nicht, dass Menschen zu uns in die Gemeinden, in die Kirchen kommen und mit dem schlechten Gefühl wieder gehen, niemand sei für sie zuständig. Am Ende einer solchen Erfahrung steht die Überzeugung, nicht mehr dazuzugehören. Und dann geht man einfach weg und kommt nicht wieder. Das erleben zurzeit viele Menschen.

Eine große Zahl von ihnen hat bereits Ablehnung durch die Kirche erfahren. Wiederverheiratete Geschiedene oder Christen anderer Konfessionen, die die eucharistische Gastfreundschaft vermissen, oder auch Menschen, denen wegen ihrer sexuellen Orientierung der Segen verweigert wird, meiden oft die Kirche, und das ist kein aktives Handeln, sondern eine Reaktion auf die Art und Weise, wie sie von der Kirche abgelehnt werden. Und viele Frauen sprechen offen aus, was seit viel zu langer Zeit offensichtlich ist, nämlich dass sie in einer männerdominierten Kirche nicht für voll genommen werden, sobald es um Verantwortung geht. 

Besonders schwer wiegt die Ablehnung der Kirche jenen Menschen gegenüber, die von Kirchenmännern missbraucht wurden und die den Mut hatten, das auch zu sagen. Über viele Jahrzehnte hinweg galten sie als Nestbeschmutzer, Opfer wurden zu Tätern erklärt, damit die geliebten Strukturen und das vertraute System keinen Schaden nehmen. 

Dass zu diesem System der pädophile Pfarrer genauso gehörte wie der wegschauende Bischof, wurde dabei billigend in Kauf genommen.

In den letzten Tagen hat mein Vertrauen in die Institution, der auch ich angehöre, wieder erheblich gelitten, denn wir mussten erleben, dass Menschen in Verantwortung, die unsere Kirche leiten oder geleitet haben, öffentlich geäußert haben, sie seien nicht zuständig. Damit stellen sich der ehemalige Offizial des Erzbistums Köln und der ehemalige Papst auf dieselbe Ebene wie der verstorbene Kölner Kardinal, der bei der Veröffentlichung der ersten Missbrauchsstudie vor 12 Jahren noch öffentlich beteuerte, nichts geahnt zu haben, während gleichzeitig eine Akte in seinem eigenen Giftschrank immer dicker wurde, in der er heikle Dokumente über sogenannte Brüder im Nebel vor der Öffentlichkeit verbarg.

Und dem Mann habe ich Ehrfurcht und Gehorsam in die Hand versprochen…

 

Wie kann es jetzt weitergehen?

Jesus findet in Nazareth, im Ort seiner Kindheit und Jugend, eine sehr einfache, aber bestechende Lösung, und zwar in der heiligen Schrift, im Buch des Propheten Jesaja.

Den Armen eine gute Nachricht bringen. Auch und gerade denen, die unter der Kirche so sehr leiden und gelitten haben. 

Den Gefangenen die Entlassung verkünden, das gilt auch für alle, die in Angst gefangen den Mund gehalten haben denen vorgeworfen wurde, die heilige Kirche zu beschädigen, für alle, die deshalb schweigen, weil sie glauben, dass keiner die Wahrheit hören will, die viele Leben belastet und zerstört hat.

Den Blinden das Augenlicht bringen, das gilt für alle, die glauben, Nächstenliebe gelte nur für einige Menschen, die in ein bestimmtes Menschenbild passen und nicht für alle. Und das gilt auch für alle, die viele Jahre lang erfolgreich weggeschaut haben.

Die Zerschlagenen in Freiheit setzen anstatt zu sagen, ich bin nicht zuständig. 

 

Und am Ende: Ein Gnadenjahr des Herrn ausrufen. 

Vielleicht wird es dann doch noch ein Gnadenjahr. Eben weil endlich so vieles ans Licht kommt, und weil viele Mächtige, viele Entscheidungsträger allmählich erkennen, dass die Kirche, die Weihbischof Steinhäuser vor einigen Wochen eine Täterorganisation nannte, nicht mehr viel mit der Kirche Jesu Christi zu tun hat.

 

Aber genau das kann sich ändern. Jeden Tag. 

Muss es sogar.

Heute hat sich das Schriftwort erfüllt, sagt Jesus den Synagogenvorstehern, den Pharisäern, den Schriftgelehrten. 

Heute sagen wir niemandem mehr, wir sind nicht zuständig. Heute gibt es keinen mehr, der nicht dazugehört. 

Die Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche ist an mir interessiert. Sie will, daß ich dazugehöre. Auch wenn ich möglicherweise anders bin. Auch, wenn ich glaube, es passt irgendwas nicht. 

Auch, wenn ich viel falsch gemacht habe, auch – um ein Wort aus dem kirchlichen Dunstkreis zu verwenden - wenn ich ein Sünder bin.

Jesus hat die Sünder nicht verurteilt, und die Kirche kann es nicht mehr, weil jetzt offenbar wurde, dass selbst ihre höchsten Vertreter schwer gesündigt haben. Und wer selbst gerade im Sumpf versinkt, kann aus dieser Position heraus wohl kaum anderen vorwerfen, dass sie zu versinken drohen. 

Gerade jetzt ist das wichtig, was Paulus sagt. Der Leib hat viele Glieder, und nur in ihrer Verschiedenheit bilden sie ein funktionierendes Ganzes. Und wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit. Zu viele Glieder haben gelitten und leiden an der Kirche. Es wird Zeit für einen ganzheitlichen Heilungsprozess. 

Eine Kirche von morgen muss eine wahrhaftige, ehrliche Gemeinschaft für alle sein. 

Was ist die Kirche von morgen dann eigentlich für ein Verein, in dem alle Platz haben? Sonst wird doch überall nach einem ganz bestimmten Talent gefragt. Schützenvereine brauchen besonders gute Schützen, Fußballclubs gute Kicker, Schwimmvereine gute Schwimmer und Kirche? Wir brauchen alle, nicht nur, die besonders schön und gut glauben können. Gerade die, die sich schwer tun, sollen einen Platz bei uns haben. Für die sind wir nicht nur zuständig, sondern auf eine besondere Weise verantwortlich. Genauso wie für die Opfer von Missbrauch und sexueller Gewalt. 

 

Ich wünsche uns allen, dass wir die Kraft haben, niemanden auszuschließen, gut zuzuhören, als Christen unsere Zuständigkeit für den Nächsten immer neu zu leben und ernst zu nehmen, dass wir den Mut haben, immer die Wahrheit zu sagen. Dann sind wir eine Kirche Jesu Christi. 

 

Amen.