Zum Inhalt springen

Nachruf Papst Johannes Paul II

Datum:
2. Apr. 2004
Von:
Christoph Jansen

Gedanken zum Leiden und Sterben von Papst Johannes Paul II.

Ich bin froh. Seid ihr es auch. Wenn die Berichte stimmen – in solchen Zeiten wird ja viel erzählt – dann war das wohl die letzte Botschaft des Papstes, mühsam geäußert und gerichtet an seine engsten Vertrauten. Wie kann ich angesichts des nahenden Todes froh sein? Wenn ich an Ostern glaube. An Auferstehung.

Eine der letzten Äußerungen des Papstes in seinem Leben: Ich bin froh. Ich weiß, dass ich in guten Händen bin. Getragen von Gott. Seid nicht ungläubig, sondern gläubig. So gläubig, dass ihr den Tod nicht fürchten müsst. Der Tod hat keine Kraft mehr. Seid froh wie ich.

Es ist so beeindruckend, wenn man aus dem Vatikan hört: Der Papst ist gelassen, fast fröhlich gestimmt. Ich weiß nicht, ob ich mich mit ihm freuen oder um ihn trauern soll. Noch an Ostern hatte er mir so leidgetan. Todkrank ans Fenster geschoben, zitternd, alt und stumm.

Ich bin erleichtert und betroffen, lache und weine, denke nach und bete. Dieser Mann wurde Papst, als ich elf Jahre alt war. Als Kind war ich begeistert. Der alte Mann in Rom war Geschichte. Papst Paul IV war auch lange krank gewesen, bevor er starb, jedoch hatte sein Leiden sehr im Verborgenen stattgefunden. Sein Nachfolger, Johannes Paul I., war ganz anders. Nicht alt und gebeugt, sondern jung und dynamisch, der lachende Papst. Vier Wochen nach seiner Wahl starb er, und ich konnte es nicht glauben. Würde jetzt wieder ein so Unnahbarer an seine Stelle treten?

Mit großem Interesse verfolgte ich das Konklave, den Rauch, dessen Farbe allen zeigt, ob man noch auf der Suche ist oder einen neuen Papst gewählt hat, und schließlich diesen erleichterten Ruf auf den Platz und in die Welt hinaus: Habemus papam.

Es wurde ein Papst der Sensationen. Sensationell, dass er aus Polen kam, aus dem Ostblock, aus dem Kommunismus, und nicht wie alle anderen vor ihm seit hunderten von Jahren aus Italien. Sensationell seine Reisen, sein Besuch in Deutschland 1980, seine Messe auf dem Butzweilerhof in Köln, bei der ich mit dabei war, im Regen stand und doch mit hunderttausenden begeistert war. Es war der erste Papstbesuch in Deutschland seit 1000 Jahren – und ich war dabei.

Eine Sensation für die Medien war auch das Attentat. Er wurde niedergeschossen, fast starb er an seinen schweren Verletzungen. Als er wieder gesund war, besuchte er – als Friedenszeichen für alle Welt - seinen Attentäter im Gefängnis und verzeiht ihm. Weltrekordhalter war der Papst in der Durchführung von Massenveranstaltungen. Zu einer heiligen Messe auf den Philippinen kamen 4 Millionen Menschen. Das war faszinierend für mich, wie der Papst Menschen in seinen Bann zog.

Ich war nicht unkritisch. Einige Sachen, die Johannes Paul getan und durchgesetzt hat, fand ich nicht gut. Aber vieles hat mich auch fasziniert. Er war immer Mahner für den Frieden. Noch vor wenigen Monaten verurteilte er das Vorgehen der Amerikaner im Zusammenhang mit dem zweiten Irakkrieg. Er traf sich mit Kommunisten und Kapitalisten, mit Demokraten und Diktatoren, und das alles nur mit dem einen Ziel, Kriege zu verhindern, zu vermitteln um der Menschen willen.

Beeindruckend seine Bitte an das Judentum, der Kirche die Fehler der Vergangenheit zu verzeihen, einmalig die nie zuvor von einem Papst geäußerte Einsicht, dass auch die Kirche Fehler gemacht hat in ihrer Geschichte. Johannes Paul II. war auch der erste Papst der Weltgeschichte, der sich mit Vertretern der anderen Weltreligionen nicht nur traf, sondern mit ihnen gemeinsam betete, nicht nur in Kirchen, sondern auch in Moscheen und Synagogen.

Die Botschaft haben alle verstanden. Unser Glaube ist nicht derselbe, unser Gottesbild auch nicht, aber wir haben viele Gemeinsamkeiten, nicht nur Trennendes.

Obwohl er bis zuletzt Protestanten die Kommunion verweigerte, ist er in seinen ökumenischen Bemühungen weiter gegangen als je ein Papst vor ihm.

Ich glaube, er war authentisch, echt, ehrlich. In vielen Dingen konnte und wollte er nicht aus seiner Haut heraus. Er redete den Menschen nicht nach dem Mund. Seine Überzeugungen sind mit seiner Herkunft und Geschichte erklärbar. Er hat sich kaum verbiegen lassen – eher hat er den Vatikan verbogen. Aus dem Bischof von Rom wurde mehr und mehr der Weltbischof, ein Papst für alle. Wenn seine Verantwortung – wie es der päpstliche Segen urbi et orbi besagt – die Stadt Rom und der Erdkreis war, so verlagerte er den Schwerpunkt des Papsttums immer mehr von der Stadt in die Welt. Er wurde zum Missionar, zum Reisenden, und er hatte die Frohe Botschaft im Gepäck – und den Leib Christi, den unsere Kommunionkinder in diesem Jahr am Tage der größten Trauer um ihn zum ersten Mal empfangen durften.

Und er nahm sich Zeit, obwohl er immer wenig davon hatte. Im Studium bin ich ihm in Rom begegnet. Mein Jahrgang, etwa 20 Studenten, durfte mit ihm zusammen in seiner Privatkapelle die heilige Messe feiern. Mit einem zweiten Gitarristen habe ich beim Papst Gitarre gespielt. Im Gebet kniete er in der Mitte, wir im Halbkreis drumherum, und keiner wagte irgendeinen Ton von sich zu geben, bis er das Zeichen gab – außer meiner Gitarre. Der riss nämlich eine Saite. Ein lauter Knall mitten in einer der intensivsten Gebetsstillen, die ich je erlebt hatte in meinem Leben. Peinlich! Aber man hat es mir nicht übelgenommen.

Für uns hielt er die heilige Messe in deutscher Sprache. Im Anschluss wechselte er mit jedem von uns einige Worte. Wir waren ihm wichtig. Es gibt eine Milliarde Katholiken weltweit, tausende wichtigerer Fragen und Aufgaben, und für uns nahm er sich Zeit, für jeden von uns. Wir knieten nicht vor ihm, er ging an uns vorbei und blieb bei jedem eine Weile. Jedem von uns schenkte er einen Rosenkranz. Johannes Paul war ein großer Marienverehrer. Er war überzeugt, dass die Gottesmutter ihn bei seinem Attentat am Leben erhalten hat.

Zuletzt war ich wieder fasziniert – fasziniert, wie Johannes Paul mit seiner zermürbenden Krankheit umging. Schon vor sechs Jahren vermuteten einige, er werde das heilige Jahr nicht oder nur knapp überleben. So schwach wirkte er schon damals. Und er zog sich nicht zurück. Rücktritt – nie. Er mutete sich allzu viel zu, oft genug gegen den Rat seiner Ärzte. Zuletzt drei Tage vor seinem Tod, als er sich fast schon sterbend noch einmal am Fenster zeigte.

Seine Botschaft in den letzten Jahren war: Leben ist immer lebenswert, und es ist immer Geschenk und Aufgabe zugleich, auch in Krankheit und Schwäche. Er hat sich nie hängen lassen. Er hat immer gekämpft, bis zuletzt, mit eisernem Willen. Es war wie ein Ruf in die Welt hinaus: Versteckt die Kranken und Leidenden nicht. Seht mich an, und dann wisst er, zu was solche Schwachen noch fähig sind. Selig sind sie, die Kranken, die Leidenden, die Schwachen, ihnen gehört das Himmelreich. Vor Gott werden die Vorzeichen verändert.

Faszinierend, wie dieser Mann in seiner Schwäche immer stärker wurde, und im Moment seines Todes am stärksten war. Amen, das sagte er noch, als er hörte, dass der Rosenkranz auf dem Petersplatz zu Ende war. Dann schloss er für immer die Augen.

In den Tagen seines Sterbens rückte alles andere in den Hintergrund. Die Welt blickte nach Rom. Der Papst ist gestorben. Der Welt fehlt eine wichtige Persönlichkeit! Was sonst noch in der Welt passierte, war kaum Thema. Johannes Paul fesselte die Massen – bis zu seinem letzten Atemzug.

Er hat genug gelitten in der Welt. Und das weiß er auch. Er ist am Ende seines persönlichen Kreuzweges angelangt. Und er fühlt sich da, wo er ist, geborgen, bewusst, dass er Jesus nachfolgen durfte, mit dem er am Ende seines Kreuzwegs beten konnte: Es ist vollbracht. Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist.

Amen.