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Herr ich bin nicht würdig (7. Sonntag im Jahreskreis 2003)

Datum:
23. Feb. 2003
Von:
Heinz Büsching

Herr ich bin nicht würdig

Eine unserer Firmandengruppen hat mir einen Brief geschrieben. Ich solle doch einmal erklären, warum wir in jeder Messe beten: Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.

Also ran. Der Satz stammt aus einer Geschichte, die in der Bibel steht, im Neuen Testament. Ein heidnischer Hauptmann, der in der Stadt Kapharnaum stationiert war, hatte einen Diener, den er sehr schätzte. Und der war sterbenskrank geworden. Der Hauptmann - ein Offizier der römischen Besatzungsmacht - hatte von Jesus gehört und von seinen Wunderheilungen. Er wandte sich an Jesus mit der Bitte, seinen Diener doch wieder gesund zu machen. Als Jesus sagte: ich komme, antwortete ihm der Hauptmann: Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird mein Diener gesund.

"Dass du eingehst unter mein Dach" heißt: dass du mein Haus betrittst. Das "Wort" ist ein Machtwort, ein heilendes Machtwort, das Jesus - so glaubt der Hauptmann - auch aus der Ferne sagen kann. Und das hat Jesus dann ja auch getan. 

Den Satz des heidnischen Hauptmanns von Kapharnaum haben wir mit einer kleinen Abwandlung in die heilige Messe geholt. Statt "Diener" sagen wir "Seele". Jesus soll meine Seele gesund machen.

In der Kommunion tritt Jesus bei uns ein, kommt in das Wohnzimmer unserer Seele - und da sagen wir vorher: eigentlich bin ich nicht würdig, dass der heilige Gott in meine Seele einkehrt. Und da bitten wir Jesus vorher: Mach meine Seele heil! Mach meine Seele würdig! Mach meine Seele gesund!

Mach meine Seele gesund. Wieso denn? Ist sie denn krank? Und damit sind wir mitten im heutigen Evangelium. Der Gelähmte, der sich mit Hilfe seiner Freunde zu Jesus durchkämpft, hatte bestimmt nur an seine kranken Gliedmaßen gedacht. Und jetzt sagt Jesus zu ihm: Deine Sünden sind dir vergeben. Was mag der Mann da gedacht haben. Vielleicht: Lieber Heiland! Ich wollte doch nur wieder laufen können. Ich bin doch nicht wegen meiner Seele gekommen, sondern wegen meiner Knochen.

Warum sagt Jesus zu dem Mann, warum sagt Jesus zu dem: deine Sünden sind dir vergeben?

Ich verstehe das so. Jesus sagt zu dem Mann - und er sagt es auch mir und Ihnen: Denk nicht nur an deine körperlichen Beschwerden. Denk nicht nur an deine körperlichen Krankheiten. Viel schlimmer können die Krankheiten der Seele sein. Die Krankheiten der Seele können lähmend sein.

Vielleicht hatte der Seelenkenner Jesus bei dem Mann eine seelische Last wahrgenommen, vielleicht eine Schuld, die der Mann nicht wahrhaben wollte. Doch ich denke: Jesus sagt das vor allem uns, uns allen, allen, die dieses Evangelium erreicht: denk nicht nur an deinen Leib, das Outfit, die körperliche Gesundheit - denk auch an deine Seele. In welchem Zustand ist deine Seele? Was tust du, damit sie gesund ist und lebendig? Wird sie vielleicht belastet durch Schuld, die du nicht wahrhaben willst?

Immer ist die heilige Messe eine gute Möglichkeit, nach innen zu schauen; sich zu fragen, was ist mit mir los? Unsere Sprache hat dafür eine treffliche Formulierung, nämlich: "in sich gehen". "In sich gehen" - da schwingt auch immer ein selbstkritischer Ton mit. "In sich gehen" heißt auch: in sich nach dem Rechten sehen.

Die heilige Messe kann da eine Hilfe sein. Wenn ich allerdings nur mit der Erwartung komme, hier mal nett unterhalten zu werden, dann ist die Chance verpasst. Der Unterhaltungswert der Messe ist gering. In sich gehen - das muss jeder selbst machen, und das klappt nicht ohne eigene Bemühung. Aber wem schon mal aufgegangen ist, dass seine Seele hier zur Ruhe kommen und auftanken kann, wer von hier schon einmal mit einer befreienden Idee und mit neuem Mut nach Hause gegangen ist, der wird die Bemühung um den Weg nach innen als lohnend empfinden.

Ich möchte jetzt aber klarstellen, dass das eigentlich Heilende und das in der heiligen Messe Entscheidende die Gottesbegegnung ist, die Begegnung mit dem unendlichen, allmächtigen, heiligen Gott. Immer haben Menschen in allen Religionen vor dem heiligen Gott eine heilige Scheu empfunden, Ehrfurcht, Respekt, ja Angst. Fürchte dich nicht, müssen die Engel immer wieder sagen. Als der Hauptmann von Kapharnaum sagte: Herr, ich bin nicht würdig, dass du bei mir eintrittst, da mag ihn manches bewegt haben. Vielleicht fühlte er sich schuldig. Vielleicht war ihm bewusst, dass er in den Augen der Juden nur ein Heide war. Vielleicht war es aber auch schlicht die Ehrfurcht, die er als kleiner Mensch vor dem unendlichen Gott verspürte.

Solche Ehrfurcht ist vielen von uns abhandengekommen. Hände in den Hosentaschen, Kaugummi kauen, pausenlos quatschen - nicht nur in der Kirche, sondern auch an anderen Stätten, wo eine ehrfürchtige Haltung angemessen wäre.

In einer Welt, die vor nichts mehr Ehrfurcht hat, verwundert es nicht, dass junge Leute etwas irritiert fragen, warum sie denn beten sollen: Herr ich bin nicht würdig.

Wir könnten von anderen Religionen lernen, z. B. vom Islam, in dem die Gläubigen sich nicht schämen, sich vor dem heiligen Gott tief zu beugen.

Heute hat uns die Frage der Firmanden den heidnischen Hauptmann von Kapharnaum in den Blick gerückt. Ich lade alle ein, jetzt einen Augenblick in sich zu gehen und sich zu fragen: Wie steht es mit meiner Ehrfurcht vor dem heiligen Gott?