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Christi Himmelfahrt 2002

Datum:
9. Mai 2002
Von:
Heinz Büsching

Stellen wir uns vor: jemand wacht auf wie aus einem langen Schlaf, reibt sich die Augen und stellt fest, dass er sich in einem Zug befindet, der durch die Nacht fährt. Er weiß nicht, woher der Zug kommt, weiß auch nicht, wohin der Zug fährt, ja, er hat keine Ahnung, wieso er überhaupt in diesem Zug sitzt.

Das ist ein Bild für unsere menschliche Grund-Situation. Jedem von uns geht es so: wenn er zum Leben erwacht, dann weiß er nicht, woher er kommt, wohin er geht und warum er überhaupt da ist. In dieser menschlichen Grundsituation kann man sich nun verschieden verhalten. Ich möchte einmal zwei Verhaltensweisen modellartig darstellen.

Die einen konzentrieren sich darauf, das Abteil zu untersuchen, in dem sie sind. Vielleicht indem sie wissenschaftliche Methoden entwickeln, die Größe des Abteils genau auszumessen. Aber die meisten von denen, die sich auf das Abteil konzentrieren, richten ihr Interesse doch darauf, wie bequem die Sitze sind, ob es was zu essen und zu trinken gibt und ob die Abteilsgefährten eine angenehme Gesellschaft sind. Einige werden alsbald ihre Energie darauf verwenden, den Abteilgefährten zu imponieren und unter ihnen die erste Geige zu spielen.

Im Unterschied zu dieser Verhaltensweise, die ihre Aufmerksamkeit vor allem auf das eigene Abteil konzentriert, gibt es auch eine ganz andere Art, eine ganz andere Verhaltensweise in dieser menschlichen Grundsituation. Ich denke an die, die vor allem sich dafür interessieren, wo der Zug überhaupt hinfährt, wer ihn in Gang gesetzt hat und was das ganze Unternehmen überhaupt soll. Sie suchen danach, ob sich nicht irgendwo im Abteil ein Fahrplan befindet. Sie werden sich darum bemühen, den Zugführer aufzutreiben, und mit ihren Abteilgefährten darüber sprechen, was das wohl für eine Fahrt ist und ob sie ein gutes Ziel hat und welches.

Nun kann man gewiss beide Verhaltensweisen kombinieren: sich für das Ziel der Fahrt interessieren und für das Abteil, in dem man sich befindet. Doch wenn wir die Menschen hier bei uns, in der westlichen Welt und in der heutigen Zeit betrachten, dann scheint doch in fast chemisch reiner Form und konsequent einseitig die Verhaltensweise vorzuherrschen, die sich nur für das begrenzte Abteil interessiert, in dem wir uns jetzt befinden; bequem sitzen, gut essen und trinken, angenehme Gesellschaft und der stolze Hinweis darauf, unsere Welt sei wissenschaftlich erforscht. Die Frage, wohin die Fahrt geht, wird nach Möglichkeit ausgeklammert. Die Hauptenergie geht jedenfalls darauf, wie wir es uns hier und jetzt gemütlich machen; das Gespräch über den Sinn des Ganzen wird unterdrückt.

Eines der sichersten Indizien für diese Einschränkung auf unser eigenes Abteil ist die Umfunktionierung unserer Feste, die ja ursprünglich über unsere Grenzen hinaus verweisen. Weihnacht feiert nicht mehr den Gott, der Mensch geworden ist, sondern ein Familienfest. Ostern wird wieder mehr und mehr zum Frühlingsfest mit bunten Eiern. Und Himmelfahrt – das geht natürlich gar nicht. Da ist ja von einem Ziel der Fahrt die Rede. Ein Fest, das sich ganz auf das Ziel der Lebensfahrt konzentriert, wird anscheinend nicht ertragen, also wird es total umfunktioniert aufs Diesseits, auf zugegeben wichtige Abteilgefährten, auf die Väter.

Sie sind nun am heutigen Fest zum Gottesdienst gekommen. Und ich darf daraus schließen, dass Sie es nicht aufgegeben haben, über die Grenzen unseres Abteils hinaus zu denken, zu hoffen und zu leben. Aber da wir Menschen unserer Zeit sind, und die Abteilgefährten die vielen anderen, die heute Vatertag feiern, sind wir ganz bestimmt auch angefochten von der Selbstverständlichkeit, mit der so viele das Fest Christi Himmelfahrt gestrichen haben und statt dessen Vatertag feiern.

Ehe wir uns als die totalen Außenseiter vorkommen, sollten wir vielleicht einen Blick darauf werfen, wie denn, um im Bild zu bleiben, die Nachbarabteile, wie die Abteile vor uns sich in dieser menschlichen Situation verhalten.

Für griechische Weisheit war das Entscheidende im Menschen die Seele, und die griechischen Denker erkannten, dass die Seele einer ewigen, unvergänglichen, reinen Welt zustrebt, von der diese irdische Welt nur ein Schatten ist. Für die gesamte abendländische Tradition ist Gott das Ziel der Geschichte und die Vollendung des Menschen ist das Leben bei ihm. Aus dieser Bezogenheit auf Gott holten sich die Menschen nicht nur Trost, sondern auch gemeinschaftsbildende und kulturschöpferische Kraft.

Die großen indischen Religionen Hinduismus und Buddhismus betrachten das menschliche Leben als eine Wanderung der Seele in einen endgültigen Glückszustand, und was sie als Nirwana bezeichnen, dürfte dem sehr nahekommen, was wir Himmel nennen.

Und wenn sich die mohammedanisch geprägten Länder so heftig gegen unsere westliche Welt wehren, dann steht darin deutlich die Abwehr gegen (unsere) vordergründige, oberflächliche westliche Lebensart.

Was in unserem Abteil, in unserem eigenen Teil der Weltgeschichte geschieht, erinnert mich an Kinder, die am ersten Weihnachtstag oder am Weißen Sonntag über ihre neuen Spielsachen alles andere vergessen. Ich kann schon deshalb nicht neidisch sein, weil das Spielen mit Auto und Automation, mit Ausstattung und Zuwachs anscheinend gar nicht so sehr Freude macht, sondern eher Angst verrät, Angst, das Spielzeug könnte kaputtgehen oder einem weggenommen werden oder andere könnten mehr haben.

Ich bin überzeugt, dass ich diese Welt und mein Leben erst richtig genießen kann, wenn ich mit dem Ziel meiner Fahrt vertraut bin.

Wie machen Sie sich mit dem Ziel Ihrer Fahrt vertraut?