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Die Gottesliebe (13. Sonntag im Jahreskreis 2002)

Datum:
30. Juni 2002
Von:
Heinz Büsching

Ein Vater sitzt zu Hause im Wohnzimmer am Schreibtisch. Auf einmal geht die Tür auf und sein achtjähriger Junge kommt herein. Er hat eine Frage. Papa, fragt er, was sind Erstlinge? Der Junge hatte den Ausdruck in der Schule gehört. Er hatte die Sache mit den Erstlingen aber nicht so ganz verstanden. Jetzt wollte er das von seinem Vater erklärt bekommen.

Der Vater wusste es im ersten Augenblick auch nicht. Er dachte ein bisschen nach, und dann fiel ihm ein, was er einmal gelernt hatte. Und er fand eine einfache Art, es dem Jungen klar zu machen. Du weißt doch, sagte er, die ersten Israeliten waren Hirten, und auch als die meisten von ihnen Bauern geworden waren, gab es bei ihnen noch viele Schafherden. Wenn nun bei den Herden im Frühjahr die ersten Lämmer ankamen, dann war es Vorschrift, dass das erste Lamm Gott geschenkt wurde, das heißt, es wurde zum Tempel gebracht. Es musste aber ein gutes, fehlerfreies Lamm sein, nicht ein krankes, das man loswerden wollte. Und wenn im Garten die ersten Kirschen reif waren, dann gehörte es sich, dass das erste Körbchen mit Kirschen Gott geschenkt wurde, das heißt, es wurde zum Tempel gebracht. Es durften aber nur gute Kirschen sein, keine faulen. Ein Höhepunkt war es, wenn die Erstlinge der Weizenernte Gott geschenkt wurden. Die ersten zwei mit dem neuen Weizenmehl gebackenen Brote wurden zum Tempel gebracht, aber nur aus ganz reinem Mehl, ohne Zusatz, ganz sauber gebacken. Alle Erstlingsgaben wurden verwendet zum Unterhalt des Tempels und für die Armen. So mussten die Israeliten von allem, was sie ernteten, das Erste und Schönste Gott schenken.

Siehst du, sagte der Vater, das sind Erstlinge. Papa, fragte der Junge, warum mussten die Israeliten das denn? Das kann ich dir sagen, antwortete der Vater. Die Israeliten sollten das Erste und Schönste Gott schenken, um damit zu zeigen, dass Gott ihnen der Höchste und der Liebste ist.

Der Junge denkt nach. Papa, fragt er dann: Warum müssen w i r das denn nicht? Jetzt kam der Vater in Verlegenheit. Ja, sagte er, weißt du, für uns ist das doch eine Selbstverständlichkeit, dass Gott uns der Höchste und der Liebste ist; und dass wir ihm das Erste und Schönste schenken.

Der Junge dachte lange nach. Dann stampfte er auf einmal mit dem Fuß auf, die Tränen schossen ihm in die Augen, und da sagte er: Aber wir tun es doch gar nicht!

Ist   f  ü  r     S  i  e   Gott der Höchste und der Liebste? Und wenn sie sagen "ja natürlich" – wie werden Sie dem gerecht?

Die Familie des protestierenden Jungen hat sich aufrütteln lassen und nach neuen Wegen gesucht, Gott die Ehre zu erweisen und Liebe zum Ausdruck zu bringen. Doch es scheint ja schwierig zu sein, Gott den ersten Platz zu geben; nicht nur mit Worten, sondern wirklich.

Die erste Schwierigkeit ist, dass unsere Liebe verkümmert durch unsere Bequemlichkeit. Auch nur die     e  i  n  e  Stunde in der Woche "ganz für IHN" hier in der Kirche ist uns oft schon zu viel.

Die zweite Schwierigkeit sitzt tief. Seit Adams Zeiten tun wir uns schwer, über unsere Eigenliebe hinauszukommen. Wir sind geneigt, um uns selbst zu kreisen und immer nur uns selbst als den Höchsten und Liebsten zu betrachten. Der Versuchung zur Selbstüberhebung entgehen wir nur durch wache Selbstkritik.

Die dritte Schwierigkeit scheint die edelste zu sein. Müssen wir nicht das Wohl des Menschen über alles andere stellen? Muss nicht der Entfaltung des Menschlichen unsere ganze Liebe gelten?

Jesus selbst hat diese scheinbare Konkurrenz sogleich gelöst: er hat die Nächstenliebe der Gottesliebe gleichgestellt. In seiner Gerichtsrede hat er es anschaulich gemacht: Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.

Die Gottesliebe, die Bezogenheit auf Gott, behält den ersten Platz – und dies zu unserem Heil. Nehmen wir das Beispiel, das Jesus bringt, die Liebe zwischen Eltern und Kindern. Eltern, die ihre Kinder vergöttern, richten sie zugrunde. Kinder, die sich an ihre Eltern klammern wie an etwas Absolutes, werden keine freien Menschen. Die Gottesliebe, die Bezogenheit auf Gott den Höchsten, bewahrt uns davor, irgendwen in dieser Welt oder irgendwas auf unserer Erde zu überfordern.

Gott der Höchste und der Liebste.

Liebe lässt sich nicht erzwingen.

Vielleicht lässt sie sich erwidern.

Gott hat ja angefangen.

Wo in ihrem Leben spüren Sie seine Liebe?