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Wer den Versuch macht, sich an allen Kreuzen vorbeizumogeln, wird sein Leben verpassen. (22. Sonntag im Jahreskreis 2002)

Datum:
1. Sept. 2002
Von:
Heinz Büsching

Manchmal gehe ich an meinen Bücher-Regalen entlang, ziehe ein Buch heraus, schaue es an – und dann frage ich mich: Werde ich dieses Buch in diesem Leben noch lesen? Und wenn ich mir sagen muss: bestimmt nicht, dann gebe ich es weg. Manchmal kriege ich einen Rappel und fange an, bei mir aufzuräumen. Ich nehme diesen oder jenen Gebrauchsgegenstand in die Hand. Und wenn ich mir von einem Gegenstand sagen muss: den brauche ich ganz bestimmt nicht mehr, dann gebe ich ihn weg. Manchmal krame ich in meinen Erinnerungen. Da gibt es Erinnerungen, bei denen ich gern verweile. Aber es gibt auch Erinnerungen, die würde ich am liebsten weggeben, wegwerfen, vergessen.

Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber dabei sein Leben einbüßt. Sein Leben einbüßen, damit ist hier gemeint: sein Leben verpassen, sein Leben versäumen, am wahren Leben vorbeileben.

Und wenn ich an meinen Bücher-Regalen entlang gehe oder durch die Wohnung oder durch meine Erinnerungen, dann frage ich mich manchmal: Hast du richtig gelebt? Und lebst du jetzt richtig? Oder bist du dabei, dein Leben zu verpassen?

Ich nenne eine Erinnerung, bei der ich gern verweile, weil ich das Gefühl habe: das war richtig. Ich stehe mit einer Jugendgruppe auf einem hohen Berg, einem Viertausender. Es ist ein faszinierender Augenblick: über uns der Himmel, rundum ein herrlicher Blick, aber hinter uns ein harter Kampf. Mit einer Jugendgruppe einen Viertausender besteigen, das war für mich ein gutes, ein richtiges Ziel. Doch um dieses Ziel zu erreichen, musste ich die Herausforderung des Berges annehmen und eine harte Anstrengung durchstehen.

Nehmen Sie diese Erfahrung als ein Symbol.

Zwar wird uns viel Gutes im Leben geschenkt, einfach so. Aber vieles müssen wir uns auch erkämpfen. Mit den Worten des Evangeliums: wir müssen ein Kreuz auf uns nehmen. Jeder Tag bietet uns Möglichkeiten des Guten. Und immer, wenn sich uns eine Möglichkeit des Guten anbietet, fällt uns die übliche Frage ein, die uns in den Ohren kitzelt: hast du Lust oder hast du keine Lust.

Wer immer nach der Lust entscheidet, wird sein Leben verpassen. Denn vieles, was ich als gut und richtig erkannt habe, werde ich nur gewinnen, wenn ich ein Kreuz auf mich nehme, wenn ich das Hindernis der Unlust überwinde.

Was ist gut? Was ist richtig? Und woher weiß ich das? Wie kriege ich das raus?

Die christliche Erfahrung weist uns hin auf die stille Besinnung, auf das Gebet, auf das gute Gespräch, auf den Gottesdienst. Gott, was soll ich tun? Das heutige Evangelium lädt uns ein, uns an Jesus von Nazaret zu orientieren.

Komm und folge mir nach. Jesus als Weisheitslehrer, als Vorbild, als Wegbegleiter. Glücklich, wer ihn findet.

Nicht vor jedem Kreuz haben wir die Wahl. Oft wird es uns auferlegt. Manchmal ist es ein schweres Kreuz. Ein Glück, wenn wir dann den Kreuzträger Jesus bei uns haben.

Wer den Versuch macht, sich an allen Kreuzen vorbeizumogeln, wird sein Leben verpassen. Das weiß schon die Volksweisheit, wenn sie vom Schlaraffenland erzählt, das nicht glücklich macht. Wer dem Traum vom Schlaraffenland nachhängt, ist schon auf dem Weg, sein Leben zu versäumen.

Stille Besinnung, Gebet, Gottesdienst – sind die gut und richtig? Für mich sind sie richtig, weil sie mir helfen, mein Leben zu finden. Stille Besinnung, Gebet, Gottesdienst – sind Sie auch schon mal versucht, sich daran vorbeizumogeln, weil es Mühe macht, seine Seele zu Gott zu erheben?

Seine Seele zu Gott erheben – manchmal scheint das wie der Aufstieg auf einen Viertausender. Vielleicht gelingt uns hier in der Kirche die stille Besinnung noch am ehesten.

Versuchen wir‘s. Eine Minute. Die Besinnungsfrage könnte sein: Vor welcher Sache, die Sie als gut und richtig erkannt haben, schrecken Sie im Augenblick noch zurück?