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Welche Vision von Gemeinde haben Sie? (23. Sonntag im Jahreskreis 2002)

Datum:
8. Sept. 2002
Von:
Heinz Büsching

Wie soll die ideale Gemeinde aussehen? Welche Vision von Gemeinde haben Sie? Welchen Traum?

Ich formuliere es jetzt etwas realistischer: Welches Idealbild von Gemeinde ist in uns wirksam und steuert unser Mitleben mit der Gemeinde?

Ich denke: noch immer ist wirksam ein Bild von Gemeinde, wo alles von oben nach unten hin geordnet ist. In diesem Bild kommt alles an auf die geweihte Spitze. Die entscheidenden Impulse werden von oben erwartet. Die einfachen Gemeindemitglieder sind die Pfarrkinder, die Schäfchen. Hirt und Vater ist der Priester. Dieses Gemeinde-Ideal ist eine Art heilige Monarchie.

Obwohl dieses Bild weit entfernt ist von der brüderlichen Gemeinde, die Jesus gewollt hat – warum ist dieses "Von-oben-nach-unten-Bild" immer noch so wirksam?

Zunächst deshalb, weil es uns tief eingeprägt ist. Wir sind auf dieses Bild hin erzogen. Zur Kirche gehören heißt: hören und folgen. Die Älteren erinnern sich noch daran, welch sagenhafte Autorität der Pastor einmal hatte.

Dieses "Von-oben-nach-unten-Bild" hat inzwischen auch eine moderne Plausibilität bekommen. Und zwar durch die moderne Betreuungsmentalität. Sich von Staat und Kirche rundherum betreuen lassen: das ist ein verführerischer Anspruch. In dieser verbreiteten Betreuungsmentalität sind für alles verantwortlich immer die da oben.

Weder die Betreuungskirche noch die Vaterkirche entsprechen dem Willen Jesu. Er sagt: ihr sollt niemanden auf Erden euren Vater nennen, und den einzelnen hat er aus der Unmündigkeit herausgeholt und in die Verantwortung gerufen wie niemand vor ihm.

Der tiefe Ernst, mit dem Jesus den     e  i  n  z  e  l  n  e  n     in die Verantwortung ruft, kann nun zu einem Bild von Gemeinde verleiten, wo sie nicht mehr Gemeinschaft ist, sondern eine lockere Ansammlung von einzelnen. Es gibt eine breite religiöse Grundströmung, die sagt: Religion – das ist: Gott und meine Seele – meine Seele und Gott – und sonst nichts. In extremer Form heißt dies: ich mache meine Sache mit Gott alleine aus. In gemäßigter Form heißt das: ich kann mich von Kirche anregen lassen, obwohl sich alles Wichtige zwischen Gott und mir allein abspielt. Für das Bild von Gemeinde heißt das: dass sie eine lockere Ansammlung von einzelnen ist, nicht Blätter an einem Baum, sondern ein Haufen loser Blätter. Nicht ein Bau aus lebendigen Steinen, sondern ein loser Steinhaufen. Nicht eine Gemeinschaft, sondern eine Organisation, die Treffpunkte für Ich-Meditationen organisiert.

In einer letzten Verirrung wird Gemeinde gesehen als eine Einrichtung, wo man seine religiösen Bedürfnisse befriedigt, wenn man es gerade braucht. Da hat dann das Bild vom Supermarkt Pate gestanden. Mit Gemeinschaft hat das nichts zu tun.

Ich fragte am Anfang nach den Leitbildern von Gemeinde, die in uns wirksam sind. Aber jetzt müssen wir auch fragen, wie denn Jesus seine Gemeinde gewollt hat und wie die ersten Jünger Gemeinde verstanden haben.

Gemeinde wurde von Anfang an verstanden als Gemeinschaft der Schwestern und Brüder Jesu, als Familie Gottes, als Volk Gottes, als Weinstock mit Reben, als Tempel aus lebendigen Steinen, als Leib Christi – er ist das Haupt, wir sind die Glieder.

Die Bilder lassen keinen Zweifel: Gottes Heil wird vermittelt durch Gemeinschaft. Jesus kennt keinen religiösen Individualismus. Sein Heil wird vermittelt durch die Gemeinschaft. Diese wird in den Apostelbriefen beschrieben als lebendiges Miteinander, in der alle ihre Dienste, Talente und Gaben zusammentun zum Nutzen aller; als Gemeinschaft, wo man mit den Weinenden weint, mit den Fröhlichen lacht, wo der eine des anderen Last trägt und der eine für den anderen zum Heil wird.

Das heutige Evangelium ist ein praktisches Beispiel aus diesem praktischen Miteinander. Da, wo ein einzelner zu scheitern droht, ist das der Gemeinschaft nicht egal. Sie muss Verantwortung zeigen, und sie tut das zunächst durch einzelne; durch vertraute und verschwiegene einzelne. Von Hirten und Priestern ist in diesem Evangelium nicht die Rede. Die Aufgabe, ein brüderliches Gespräch zu führen und brüderlich aufzufangen, kommt dem zu, dem sein Gewissen sagt, dass er noch am ehesten Zugang zu dem bedrängten und gefährdeten Gemeindemitglied hat.

Seelsorge ist nicht ein Monopol des Priesters. Jeder ist zur Seelsorge berufen.

Das ist kein lebensfremdes Ideal. Immer wieder bekomme ich mit, wie taktvolle Hilfe in der Gemeinde stattfindet. Ich habe sie oft an m i r erfahren: die brüderliche Zurechtweisung und das brüderliche Gehaltenwerden.

Wie groß die Toleranz der Gemeinde bei rücksichtslosem Verhalten sein kann und wo die Schmerzgrenze ist: das muss die Gemeinde, die Kirche, immer wieder neu herausfinden. Die Vollmacht dazu hat sie: In diesem Evangelium wird der Gemeinde als Gemeinschaft ausdrücklich die Vollmacht übertragen, zu binden und zu lösen.

Die Heilsbedeutung der Gemeinde wird am klarsten und schönsten im Schlusssatz des Evangeliums gesagt: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.

Wir sind jetzt im Namen Jesu versammelt. Vielleicht möchte er Ihnen jetzt in der Stille etwas sagen.