Jugendheimbus Liebfrauen
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Vertreter des Jugendamtes, der Stadt Hennef und der Hennef-Stiftung,
lieber Frank,
liebe Freunde und Vertreter unserer Pfarrgemeinde,
liebe Freunde der Jugendarbeit,
liebe Jugendliche!
Wenn wir heute für Kinder und Jugendliche tätig sind, erleben wir immer einen Spagat.
Wer heute einen Kindergarten, eine Schule, ein Jugendzentrum oder nur einen Spielplatz baut, hat jede Menge Auflagen zu beachten. Da geht es um Fallschutz, Klemmschutz, Dämmung, Brandschutz und vieles mehr. Alles ist sicher irgendwie sinnvoll, aber auch unendlich teuer.
Und in der Summe müssen wir es auch hinterfragen.
Die Helden meiner Kindheit waren Pippi Langstrumpf, die drei Fragezeichen, Michel aus Lönneberga und noch einige andere mehr. Die drei genannten Charaktere sind bis heute populär. Warum?
Weil Kinder und Jugendliche in der Phantasie der Kinder- und Jugendbuchautoren einfach ihre Ideen, ihre Phantasie, ihre Träume leben dürfen.
Wenn Pippi Langstrumpf sich Konrads Spezialkleber unter die Schuhsohlen schmiert und damit kopfüber an der Decke eines abbruchreifen Hauses tanzt, fragt keiner: Ist der Klebstoff emissionsfrei?
Gibt es in dem Raum Fallschutzmatten, falls das Kind herunterfällt?
Wenn Michel aus Lönneberga seine Schwester am Fahnenmast hochzieht, interessiert es nicht, ob der Fahnenmast TÜV-geprüft ist und ob sichergestellt ist, dass er das Kind auch aushält.
Und dann der Wohnwagen der drei Detektive aus Rocky Beach, versteckt unter dem Schrott eines Altwarenlagers. Man erreicht die Zentrale durch Geheimgänge, meist kriechend. Was sagt der Brandschutzbeauftragte dazu? Hat es vor Errichtung der Zentrale im besagten gebrauchten Wohnwagen eine Machbarkeitsstudie gegeben? Brauchten Justus Jonas und seine Freunde eine Baugenehmigung?
Als Kind habe ich im ganzen Siebengebirge vergeblich nach einem Schrottplatz gesucht, um eine solche Zentrale zu errichten. Wie enttäuscht war ich, dass es nirgendwo wilde Schrottplätze gab!
Kinder ticken anders, Jugendliche auch. Sie haben noch die Phantasie, die so vielen Menschen längst verloren gegangen ist.
Und viele Regeln, Vorschriften, Auflagen unterdrücken die Phantasie.
Das klappt doch sowieso nicht, sagt die Vernunft.
Und dann hören wir auf zu träumen. Und das ist fatal.
Reinhard Mey singt in einem seiner Lieder:
Kinder werden als Riesen geboren, doch mit jedem Tag, der dann erwacht, geht ein Stück von ihrer Kraft verloren, tun wir etwas, was sie kleiner macht.
Kinder versetzen so lange Berge, bis der Teufelskreis beginnt,
bis sie wie wir erwachs’ne Zwerge, endlich so klein wie wir Großen sind.
Kinder werden mit Klemmschutztüren, Fallschutzmatten und TÜV-geprüften Spielgeräten in unseren Kitas täglich betreut. Dann werden sie nachmittags abgeholt und klettern erst einmal auf den nächsten Baum. Sehe ich jeden Tag. Der Baum ist rau. Die Kinder schrammen sich daran ihre Knie und Hände auf. Er hat keinen Fallschutz. Wer von uns ist nicht irgendwann in seiner Kindheit einmal vom Baum gefallen? Vielleicht sogar mit bösen Folgen wie Knochenbruch oder Gehirnerschütterung?
Und doch ist nicht das sicherheitsmäßig unbedenkliche Klettergerüst im Kindergarten, sondern der Ausflug in den Baum DAS Abenteuer des Tages.
Kinder drehen zuhause den Tisch um und erklären: „Das ist jetzt ein Boot“. Der umgedrehte Tisch hat Ecken und Kanten. Man könnte sich Kratzer und Beulen holen. Und doch ist er im Moment das schönste Spielzeug auf der ganzen Welt. Und da kann kommen, was will, mit diesem Boot reisen sie um die ganze Welt, erleben Abenteuer, kämpfen gegen Piraten. Wie Pippi Langstrumpf, die mit etwas Sperrholz und einem kaputten Fahrrad ein Flugzeug baut und damit bis in die Südsee fliegt.
Wir haben einen alten Bus bekommen.
Die meisten Busse sind zweckmäßig eingerichtet. Abgerundete Sitze, keine Kanten und Verletzungsrisiken während der Fahrt, viele Haltegriffe und Stangen. Alles zweckmäßig, aber ohne viel Phantasie. Vorschriften und Sachzwänge lassen Dinge entstehen, die funktionieren, aber ansonsten langweilig sind.
Wie spannend ist ein Schulbus?
Wie aufregend sind seine Sitze, Haltegriffe, Ein- und Ausstiege?
Alles ausräumen, Hängematten aufhängen, auf selbstgebastelten Barhockern sitzen, spielen, chillen, der Phantasie freien Lauf lassen - wer hat nicht schon mal davon geträumt?
Rein praktisch gesehen fährt der Bus nicht mehr von A nach B. Aber vielleicht fliegt er in die Südsee! Vielleicht bringt er Menschen zueinander! Vielleicht begleitet er kreative Kinder und Jugendliche durch eine unendlich wertvolle Zeit in ihrem Leben!
Bitte versteht mich nicht falsch. Jede Vorschrift, jede Regel, jede Machbarkeitsstudie – und wie die Erfindungen aus der Welt der Erwachsenen heißen – hat einen Sinn. Aber in der Summe darf so etwas nicht die Phantasie, die Träume, die Lebensfreude behindern.
Und so sehe ich in diesem Bus so etwas wie den umgedrehten Tisch, der über die Weltmeere segelt. Oder die Zentrale der drei Detektive aus Rocky Beach, in der das Zeug zu Heldentaten heranreift. Er ist ein großartiges Abenteuerspielzeug. Eins, das Kinder und Jugendliche normalerweise niemals bekommen könnten.
Ihr könnt kreativ werden. Ihr könnt Träume leben. Und ausprobieren.
Dieser alte Bus ist nicht perfekt.
Er entspricht nicht dem aktuellen Standard. Er ist einfach anders.
Und genau das regt die Phantasie an.
Ich denke mir, deshalb habt ihr auch von der Hennef-Stiftung viel Unterstützung erhalten.
Und so wünsche ich diesem Bus, der nur für phantasielose Zeitgenossen stillgelegt ist und nicht mehr fährt, allzeit gute Fahrt.
Christoph Jansen