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Ich habe den Anfang gemacht. Jetzt seid ihr dran. (Christi Himmelfahrt 2003)

Datum:
29. Mai 2003
Von:
Heinz Büsching

Ich stelle mir einen Lehrer vor, der nie Hausaufgaben aufgibt. Der seinen Schülern nie zumutet, sich einmal allein mit sprachlichen und mathematischen Problemen herumzuschlagen. Der seine Schüler nie fordert. Was wird wohl aus diesen Schülern werden?

Ich stelle mir vor einen Lehrmeister, der seinen Lehrling keinen Augenblick aus den Augen verliert, der ihn nichts alleine machen lässt, der ihm kein Werkstück anvertraut. Was wird wohl aus diesem Lehrling werden?

Ich stelle mir eine Mutter vor, die ihr Kind auf Schritt und Tritt begleitet; die ihr Kind, auch wenn es Schulkind geworden ist, ständig beaufsichtigt; die auch dann, wenn das Kind ins Jugendalter eingetreten ist, mit ihrer Fürsorglichkeit allgegenwärtig bleibt. Was wird wohl aus diesem Kind werden?

Ich stelle mir einen Vater vor, der seinem Kind alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumt, der für sein Kind alle Wege ebnet, der dem Kind alle Entscheidungen abnimmt, der alle Kämpfe für das Kind ausfechtet. Was wird wohl aus diesem Kind werden?

Wir haben uns im Stillen längst die Antwort gegeben: ein Kind, das nichts allein tun darf, wird nie selbständig. Ein Lehrling, der nichts allein ausprobieren darf, wird nichts lernen. Ein Jugendlicher, der nichts entscheiden darf, wird nicht erwachsen. Das wissen zwar alle Erzieher. Doch in der Praxis wird eben doch gegängelt und betüttelt.

Zwei schwierige Tugenden werden vom Erzieher verlangt:

1. Geduld,

2. Vertrauen.

Die Geduld, kümmerliche Versuche zu ertragen. Viele Mütter und Meister, Väter und Verant­wortliche können die kümmerlichen Versuche und den Murks, den die Sprösslinge und Anfänger zunächst mal fabrizieren, nicht ertragen und machen‘s lieber selber. Das geht schneller, und man hat‘s dann ordentlich. Aber dann lernen‘s die Kinder nie. Es geht nicht ohne die Geduld; die Geduld, kümmerliche Versuche zu ertragen.

Zweitens und vor allem muss jeder, der mit Erziehung zu tun hat, Vertrauen haben. Vertrauen zum Kind, zum Anfänger, zum Lernenden. Vertrauen in den jungen Menschen, dass er die Schwierigkeiten meistern und seinen guten Weg machen wird. Gute Eltern, gute Erzieher haben diese Geduld, haben dieses Vertrauen.

Sind unsere Kinder nicht Kinder Gottes? Gott ist ein guter Vater. Christus ist ein guter Meister und Lehrer. Das Fest Christi Himmelfahrt hat eine Reihe besonderer Aspekte. Einer ist dieser:

Christus sagt uns: Ich habe euch eine Aufgabe gestellt. Ich habe den Anfang gemacht. Jetzt seid ihr dran. Euch übertrage ich jetzt mein Werk. Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet allen Völkern das Evangelium, macht alle Menschen zu Jüngern.

Wahrhaft keine kleine Aufgabe, die er uns da stellt, ehe er sich zurückzieht. Dieses "Sich-zurück-Ziehen" wird betont durch das Bild der Wolke. Eine Wolke entzog ihn ihren Blicken. Und die Jünger, vielleicht noch ein bisschen fixiert auf die irdische Gestalt Jesu, bekommen gesagt: Was steht ihr da und schaut.

Nein, sie sollen nicht stehenbleiben, sondern gehen, gehen in die ganze Welt hinaus. Nicht warten ist das Gebot der Stunde, sondern handeln. Die Freude, mit der die Jünger sich ans Werk machen, ist die Freude der Menschen, die selbst handeln dürfen.

Sich zurückhalten heißt noch lange nicht: total weg sein. Jesus bleibt unter vielen Zeichen bei uns, unauffällig immer, immer unauffällig. Ich lasse euch nicht als Waisen zurück. Ich bin bei euch alle Tage. Ich gebe euch meinen guten Geist als den Beistand, der euch nie im Stich lässt.

Aber es gehört zur Pädagogik Gottes, dass der Geist Gottes unaufdringlich ist und die Menschen in ihren Entscheidungen frei lässt. Er verhindert nicht die kümmerlichen Versuche und den Murks, den seine Jünger machen. Aber ich bin sicher, dass er Geduld mit uns hat und in Güte auf uns schaut. Um diese Güte bitte ich auch die, die meinen, uns Christen im Namen Gottes verurteilen zu müssen. Ob sie die Güte nicht auch nötig haben?

Es gehört zur Pädagogik Gottes, dass der Geist Gottes unaufdringlich ist und die Menschen in ihren Entscheidungen frei lässt. Er hat den Jüngern Mühsal und Märtyrertod nicht erspart und nimmt auch uns Kreuz und Leid nicht ab.

Aber er lässt uns auch siegen und selbständig werden und ermutigt uns, wo immer er wirkt, zu wachsen und zu reifen und mündige Menschen und mündige Christen zu werden.

Haben Sie das schon einmal erlebt, dass Sie an einer durchgestandenen, einer bewältigten Krise innerlich gewachsen sind?