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Gib mir ein hörendes Herz (1. Adventssonntag 2002)

Datum:
1. Dez. 2002
Von:
Heinz Büsching

Gott erkennen. Gott wahrnehmen. Gott spüren. Sein Wirken, seine Ausstrahlung, vielleicht sogar ihn selbst – darum geht es mir, um die Gotteserfahrung, die hinführt zum Glauben.

Es gibt Menschen, die sagen: ich glaube nur, was ich sehe. Oder: ich glaube nur, was ich anfassen kann. Oder: ich glaube nur, was sich wissenschaftlich beweisen lässt.

Ich rufe die Musik zu Hilfe. Die Musik hilft mir, indem sie einen Vergleich anbietet. Ich stelle mir vor, jemand würde sagen: ich will Musik sehen, sonst kann ich an ihren Wert nicht glauben. Oder: Musik soll schön sein? – das glaube ich nur, wenn ich sie anfassen kann. Das würde aber im Ernst keiner sagen, weil der Denkfehler zu offenkundig wäre. Musik muss man hören. Anders kommt man an sie nicht dran. Auch die Wissenschaft kann vielleicht Schwingungen messen oder Heilerfolge erforschen – aber die Musik selbst erschließt sich nur dem Hörenden.

Wenn ich ein Ziel erreichen will, kann ich mir die Wege nicht beliebig aussuchen. Nicht jeder Weg führt zum Ziel. Das Ziel bestimmt, wo es lang geht. Zur Musik führt nur der Weg des Hörens.

Gott erkennen, Gott wahrnehmen, Gott spüren – ich kann nicht von mir aus bestimmen, wie Gott sich mir zu erschließen hat. Ich kann nicht von mir aus bestimmen, wie er sich mir zu erkennen geben soll. Nicht ich bestimme den Weg zu ihm. Gott bestimmt, wie er erkannt, wie er erfahren, wie er erreicht werden will. Ich habe die Musik zum Vergleich herangezogen. Sie sollte auch helfen bei der Einsicht, dass jede Wirklichkeit auf ihre Weise wahrgenommen werden will.

Aber vielleicht hilft die Musik noch einen Schritt weiter. Wie sie bei uns ankommen will, ist ähnlich der Weise, wie Gott uns sucht, um uns wirbt, wie er bei uns ankommen will. Die Heilige Schrift hat mich darauf gebracht. Das Schlüsselwort heißt: hören. Die Aufforderung zu hören durchzieht die ganze Heilige Schrift. Höre Israel, sagt Gott zu seinem Volk. Er sagt es immer wieder. Ach würdet ihr doch heute auf meine Stimme hören, mahnt er im Psalm. Und als der junge Samuel seiner Wahrnehmung des Göttlichen nicht traut, betet er: Rede Herr, dein Diener hört. Die schönste Stelle steht im ersten Buch der Könige. Der junge Salomo, soeben König geworden, erbittet sich von Gott ein hörendes Herz. Und Gott lobt ihn für diese Bitte.

Gib mir ein hörendes Herz.

Das ist ein kostbarer Ausdruck: hörendes Herz. Aus meiner innersten Mitte, mit wachem Verstand und offenen Sinnen und vor allem mit einer tiefen Bereitschaft des Herzens in mein Leben hineinhören, in meinen Alltag, in meine Seele, in alles, was in mir sich bewegt und tönt – das heißt ein hörendes Herz haben. Öffne dich, heißt es bei der Taufe. Öffne dein Herz, dein Wesen, dein Leben.

Ich hole mir noch einmal Anregungen bei der Musik. Musik wird gehört bei der Hausarbeit, bei Schulaufgaben, mit dem Walkman auf dem Fahrrad, bei alltäglichem Tun aller Art. Das kann unterhaltsam sein und vielleicht das Leben leichter machen. Aber in die Tiefe geht es kaum. Vielleicht lohnt sich das bei mancher Musik auch nicht. Aber wo sich einer für gute Musik Zeit und Ruhe nimmt und sie nach seinem Herzen greifen lässt, da ist er sehr nahe an der Art der Wachheit und des Sich-weit-Machens für die Wege, auf denen Gott zu mir kommen will und alle Weisen, die er dafür wählt. Ich bin unmusikalisch, sagen viele. Ich spiele kein Instrument, und singen kann ich schon gar nicht. Bei solchen Aussprüchen habe ich immer meine Zweifel, und immer denke ich eher: da ist etwas unentfaltet geblieben oder verschüttet worden, und immer finde ich es schade, wenn da vorschnell der Zugang zu einer Wirklichkeit abgehakt wird, die so viel Freude und Trost vermitteln kann.

Gott erkennen, Gott wahrnehmen, Gott spüren – manchmal habe ich das Gefühl, dass viele Menschen auch für Gott unmusikalisch sind oder meinen, sie wären es, und dass sie vorschnell die Zugänge zu ihm abgehakt haben. Vielleicht ist auch unsere Zeit zu laut und zu geräuschvoll für die leisen Töne Gottes.

Aber es gibt eine Melodie, die ist nicht zu überhören. Sie ist schon mehr ein Schrei. Ich meine den Schrei der Armen, der Hungernden, der Kranken, der Verfolgten, der Gequälten. Auch wer meint, er könne Gott in dieser Welt nicht finden – diesen Schrei hört jeder; diesen Schrei kann niemand überhören. Und wer die Barmherzigkeit in sich entdeckt und entfaltet, der hat schon eine Menge von Gott gemerkt.

Advent, Ankunft, Ankommen. Gott will bei uns ankommen. Das Evangelium mahnt, für ihn wach zu sein. Ich verstehe es als Hinweis auf die leisen Töne. Hören wir in uns hinein. Fangen wir jetzt damit an.