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Geduld (16. Sonntag im Jahreskreis 2002)

Datum:
21. Juli 2002
Von:
Heinz Büsching

Immer hat es in der Kirche einen großen Wunsch gegeben, eine Sehnsucht, eine Vision; ich meine den Wunsch: eine glaubwürdige Kirche zu sein, eine durch und durch glaubwürdige Kirche. Eine Kirche, in der alle richtig mitmachen. Eine Kirche, in der alle wirklich im Geist Jesu Christi leben. Eine Kirche, in der Scheinchristen, Halbherzige, Laxe und Laue keinen Platz haben. Und schon gar nicht dürfe es in dieser Kirche Geldgier, Machtstreben oder gar Kriminelles geben.

Den Wunsch nach einer durch und durch glaubwürdigen Kirche, den Wunsch kann ich weiß Gott verstehen. Wer von uns hat diesen Wunsch nicht?

Manchmal ist dieser Wunsch in der Kirche sehr laut geworden, immer lauter; hat sich gesteigert zu einem vielstimmigen Ruf, dem Ruf nach Reinigung, nach einer neuen Kirche, nach einer reinen Kirche, nach einer Kirche der Reinen. Der Ruf nach der reinen Kirche hat Bewegungen ausgelöst, aus den Bewegungen sind Gemeinschaften geworden und manchmal Abspaltungen, neue Gebilde, die sich als die wahre, die reine Kirche verstanden. Natürlich waren solche Prozesse immer begleitet von Diskussionen, von Auseinandersetzungen, von Streit, und oft gab es dann große Kirchenversammlungen, Konzilien, auf denen beraten und entschieden wurde. Und immer hat sich die Großkirche entschieden für die mildere Richtung, die barmherzigere, für die, die Geduld hat, Geduld mit den Sündern und Versagern.

Eine reine Kirche, eine Kirche der Reinen, kann diese Geduld nicht haben. Sie muss dauernd aussortieren, rausschmeißen, eliminieren. Denn wir Menschen sind ja schwach und fallen immer wieder in Sünde. Darum haben sich die kirchlichen Versuche, die auf flächendeckende Vollkommenheit setzen, auch nie lange gehalten.

Zwar hat auch die Kirche, die auf Geduld setzt, immer wieder Grenzen gezogen und auch Kirchenausschluss verhängt; vor allem, wenn sie die Botschaft Jesu bedroht sah; und mit der Geduld hat es auch nicht immer so toll geklappt. Doch in der großen Linie war unsere Kirche immer eingeschworen auf dieses Gleichnis hier. "Sollen wir das Unkraut ausreißen?" fragen die Knechte. "Nein", sagt der Herr, "lasst beides wachsen bis zur Ernte."

So wird es also in der Kirche immer auch das Unkraut geben. Denen, die die Kirche lieben, bringt das Ärger und Leid. Und die Vision der strahlend weißen Kirche müssen wir uns abschminken. Wenn der gute Wunsch nach der glaubwürdigen Kirche, nach Reinigung und Erneuerung in Ihnen und in mir wieder hochkommt, dann schauen wir doch bitte zuerst auf das Feld des eigenen Lebens. Bin ich reiner Weizen? Sind Sie reiner Weizen? Wer ehrlich ist und selbstkritisch genug, der entdeckt in sich so viel Unkraut, dass es sich echt lohnt, mit der Erneuerung bei sich selbst anzufangen.

Ich erinnere mich an meine Kinderzeit. Mein alter Pastor hatte für dieses Gleichnis eine schlichte Erklärung. Auf einem Ackerfeld, sagte er, wird Unkraut immer Unkraut bleiben. Doch im menschlichen Leben kann sich das Unkraut in Weizen verwandeln. Gott setzt auf Wandlung. Und Gott hat Geduld mit uns. Gott hat einen langen Atem.

Wenn Gott Geduld mit uns hat, dann müssen wir auch Geduld mit uns selbst haben. Und natürlich Geduld mit andern. Mit wem müssten Sie mehr Geduld haben?