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Beten Sie um eine gute Sterbestunde? (32. Sonntag im Jahreskreis 2002)

Datum:
10. Nov. 2002
Von:
Heinz Büsching

Beten Sie um eine gute Sterbestunde? Denken Sie überhaupt an den Tod? "Jetzt und in der Stunde unseres Todes" beten wir im Ave Maria – lassen Sie das an sich rankommen? Oder haben Sie zu viel Angst?

Es ist ein alter christlicher Brauch, um eine gute Sterbestunde zu beten. Früher sprach man sogar von einer glücklichen Sterbestunde. Ich weiß nicht, ob das Anliegen einer guten Sterbestunde im persönlichen Gebet heute noch eine Rolle spielt. Im persönlichen Gespräch jedenfalls taucht dieses Anliegen häufig auf, und fast immer in der Form, dass gesagt wird: "Mir wäre es am liebsten, wenn ich von meinem Tod nichts merke." Irgendwie werden die beneidet, die plötzlich umfallen, oder die, die einfach wegschlafen. Wenn ich schon sterben muss, so heißt die Devise, dann will ich nichts davon mitkriegen. Diesem Ideal einer glücklichen Sterbestunde entspricht, dass man einem Sterbenden nicht sagt, was mit ihm los ist. Er soll nichts merken. Er soll nichts mitkriegen.

Bei aller Angst (die mir nicht fremd ist) – ich spüre in mir auch Protest. Protest gegen die Feigheit. Protest gegen einen Lebensstil der Feigheit. Bei dem geschilderten Sterbeideal entfallen Verabschiedung, Versöhnung, innere Vorbereitung und dann auch oft das äußere Ordnen seiner Angelegenheiten. Kein Testament heißt oft: viel Streit. Was wird da der Feigheit geopfert.

Es gibt eine alte Redensart, nämlich: wie gelebt, so gestorben. Wenn das moderne Sterbe-Modell, das Modell des Sterbens, ohne was zu merken, also das Modell des totalen Ausweichens, in uns so stark ist, dann legt sich die Vermutung nah, dass dieses Modell auch in unserem Leben wirksam ist. Etwa in dem Sinn, dass wir uns angewöhnt haben, allen unangenehmen Begegnungen auszuweichen. Sollte dies stimmen, dass dieser Lebensstil des Kneifens und Schneidens, dieses Mit-allen-Missverständnissen-aneinander-vorbei-Laufens, dass dieser Lebensstil sich immer mehr bei uns ausprägt, dann wundert es nicht, dass er da, wo es um Ziel und Ende unseres irdischen Lebens geht, in höchster Zuspitzung in Erscheinung tritt.

Bei aller Angst (die ich auch habe): ich will das nicht mitmachen. Ich werde immer darauf bestehen, zu wissen, was mit mir los ist. Ich will der wichtigsten Begegnung meines Lebens nicht ausweichen. Ich will es – im Jargon des heutigen Evangeliums gesagt – nicht verschlafen. Denn Tod ist für mich Begegnung. Persönliche Begegnung. Begegnung mit Gott.

Wenn ich es darauf anlegen würde, sie zu verschlafen, dann müsste ich alles verleugnen, was ich glaube, worauf ich meine Hoffnung setze, worauf ich mein Leben baue. Wenn ich dem Tod in meinem Leben ausweiche, wenn ich den Stil des Ausweichens mitmache, dann müsste ich Gott verleugnen. Er schaut mich an und sagt: Glaubst du mir denn nicht? Glaubst du nicht, dass ich dich auffange, wenn du fällst? Und dass du es bei mir guthast?

Bei aller Angst: ich höre aus diesem Evangelium das freudige "Auf, ihm entgegen". Je mehr das "Auf, ihm entgegen" unser Leben durchzieht, je mehr das "Gott kommt mir näher" zum Thema jedes Tages wird, je mehr wir mit Gott vertraut werden, desto weniger Angst müssen wir haben; desto mehr werden wir unseres Lebens froh. Jeder Tag ist schön, und je angstfreier wir sind, desto mehr können wir ihn genießen.

Haben Sie schon einmal beobachtet, wie ein Kind im Sand spielt oder wie es vertieft ist in sein Spiel mit Legosteinen? Haben Sie schon einmal versucht, ein Kind aus seinem Spiel herauszureißen? Wie viel Protest und Geschrei das gibt?

Und jetzt stellen Sie sich vor: es geht auf den Abend zu, und der Vater kommt von der Arbeit wieder. Ich meine jetzt einen Vater, der sich um sein Kind kümmert, einer, mit dem das Kind vertraut ist. Da lässt das Kind alles stehen und liegen und läuft auf den Vater zu. Wenn der Vater kommt, dann heißt es für das Kind: Auf, ihm entgegen!, und es läuft in seine Arme.

Wer sich mit seinem Vater nicht versteht, der kann sich auf ihn nicht freuen. Der bleibt lieber bei seinem Sandkastenspiel. Und was ist, wenn der Vater ein Fremder ist? Das kann Panik geben.

Vielleicht liegt hier die Erklärung für die überzogenen Fluchtbewegungen vor allem, was mit Tod und Sterben zu tun hat. Ich will mich von der Fluchtbewegung nicht mitreißen lassen. Die Panik soll mich nicht anstecken. Ich will mit Gott immer mehr vertraut werden. Ich will mich locken und immer wieder wecken lassen vom "Auf, ihm entgegen" der Frohen Botschaft.

In den geistlichen Überlieferungen gibt es ein Lebensmotto, das mich anspricht. Es heißt: Gott finden in allen Dingen. Wo finden Sie ihn heute? Wo wartet er auf Sie? Vielleicht in Ihnen. Vielleicht jetzt.