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Sind Sie zur Versöhnung bereit? (24. Sonntag im Jahreskreis 2002)

Datum:
15. Sept. 2002
Von:
Heinz Büsching

Hat Ihnen schon einmal jemand so tiefes Unrecht angetan, Sie so verletzt, Sie so sehr innerlich verwundet, dass Sie gesagt haben: das war zu viel. Niemand kann von mir verlangen, dass ich mit dem noch freundlich umgehe. Nein, mit dem will ich nichts mehr zu tun haben.

Wenn Sie so etwas von sich kennen: Sie sind nicht der einzige.

Wie oft mag das vorkommen: das Wütend-Weggehen, das Enttäuscht-sich-Abwenden, den Kontakt abbrechen, vielleicht sogar sagen: der ist für mich gestorben. Und immer dabei das Gefühl: ich hab ja recht, das Recht ist auf meiner Seite. Darauf berufe ich mich, vor den andern und vor mir selbst: ich hab doch recht.

Wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, fragt Petrus. Siebenundsiebzigmal, sagt Jesus. Das heißt: unendlich oft. Das heißt immer. Sich auf den Rechts-Standpunkt stellen, sich an sein Recht klammern gilt nicht. Es gibt eine höhere Ordnung: das Vergeben, die Versöhnung, die Ordnung der Gnade.

Gott selbst ist das Vorbild. Wie er vergibt, so sollen auch wir vergeben. Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

7-mal vergeben. 77-mal vergeben. In der Zahl 7 steckt was drin. Sie ist Anspielung auf den Urahnen Lamech aus dem Alten Testament, zu dessen Parolen es gehörte: er werde für jedes erlittene Unrecht 77-mal zurückschlagen. 77 – das ist auch eine recht hohe Zahl. Sie könnte eine Anspielung darauf sein, dass Unrecht sehr oft vorkommt, fast zum Alltag gehört und darum auch Versöhnung zum Alltag gehören sollte.

Gehört sie dazu? Bin ich zur Versöhnung bereit? Sind Sie zur Versöhnung bereit?

In den alltäglichen Konflikten, wenn sie nicht zu groß sind, wenn wir uns auf unsere guten Seiten besinnen, wenn wir das Vaterunser nicht aufsagen, sondern beten, in den alltäglichen Konflikten wird uns die Versöhnung meist gelingen, nicht schwuppdiwupp, aber doch mit einiger Geduld.

Aber ich fragte anfangs nach dem schlimmen Unrecht, nach der tiefen Verletzung; nach der Verletzung, die so tief geht, dass sie uns blockiert; so sehr, dass uns die Versöhnung unmöglich scheint. Es ist ein Dilemma. Wir sehen ein, dass Versöhnung wichtig wäre, aber wir sehen uns außerstande, sie zu schaffen.

Selbst auf die Gefahr hin, dass ich jetzt Druck mache, möchte ich die Wichtigkeit der Versöhnung gerade bei tiefer Verletzung betonen. Diese Versöhnung wäre nicht nur wichtig für mein Zusammenleben mit den andern. Sie wäre auch wichtig für meinen Seelenfrieden. Solange es in mir rumort, komme ich nicht zur Ruhe.

Versöhnung beginnt mit der Bereitschaft zur Versöhnung. Vielleicht ist das eine Hoffnung wider alle Hoffnung. Aber wenn es um eine gute Sache geht, dann dürfen wir die Hoffnung nie aufgeben. Bereitschaft zur Versöhnung. Wenn diese Bereitschaft Fuß fasst in meinem persönlichen Gebet, dann habe ich den Weg der Versöhnung schon beschritten. Wenn ich für den, der mich verletzt hat, beten kann, dann ist das schon ein großer Schritt.

Als jemand, der zu den Betroffenen zählt, habe ich noch einen guten Tip: Es hilft mir, wenn ich über eine persönliche Verletzung mit einem vertrauten Menschen sprechen kann. Es muss aber jemand sein, der nicht zum Hetzen neigt, sondern zum Versöhnen.

Beim Sinnieren über Verletzungen fällt mir diese Frage ein: Wem tue ich Unrecht? Wen habe ich     verletzt? Ich gebe die Frage auch an Sie weiter. Wen haben Sie verletzt? Wem haben Sie Unrecht getan?