Predigt in der Osternacht 2025


Ein Journalist fragte eine Muslima: „Stört es Sie nicht, dass überall so viele Kreuze sind?“ Ihre Antwort hat mich beeindruckt: „Nein! Es tut gut zu wissen, dass es hier Menschen gibt, die an Gott glauben.“
Das Kreuz steht im Weg. Manche lehnen es ab, weil sie das Christentum ablehnen, andere finden, es habe im öffentlichen Raum nichts zu suchen. Privat kann es jeder halten wie er will.
Schon öfter habe ich gehört: Verschont doch die Kinder mit dem qualvollen Anblick des Gekreuzigten! Neulich habe ich den Satz gelesen: „Die vielen Kreuze verstellen das Kreuz.“
Ein allgegenwärtiges Zeichen verliert an Bedeutung. Das Kreuz steht im Weg. Es ist wie ein Stolperstein.
Hätte das Kreuz das letzte Wort, so wäre es unerträglich. Ostern ist mehr als der Karfreitag.
Ohne die Auferstehung bleibt das Kreuz ein sinnloses, grausames Ärgernis. Dennoch gibt es kein Leben ohne das Kreuz. „Jeder hat sein Kreuz zu tragen“, das ist mehr als ein frommer Spruch.
Wenn es aber unvermeidbar ist, dass jeder sein Kreuz hat, kann dann das Kreuz einen Sinn haben? Warum das viele Leid?
Eines scheint mir klar zu sein:
Wir müssen alles tun, um anderen kein Leid zuzufügen. Wir dürfen auch alles tun, um unser eigenes Leid zu vermeiden oder wenigstens zu lindern.
Trotzdem bleibt niemandem Leid erspart.
Jeder hat eben sein Kreuz zu tragen.
Jesus hat inständig zu Gott gebetet, ihn vom Leid des Kreuzes zu verschonen, „aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe“.
Kann das Leid Gottes Wille sein?
Diese Frage taucht plötzlich auf, wenn etwas passiert, das alle meine Pläne durchkreuzt. Dann muss ich ein Kreuz über vieles machen, was ich vorhatte. Es durchstreichen, durchkreuzen.
Heute feiern wir Ostern.
Der, den wir am Kreuz sterben sehen mussten, ist auferstanden.
Nach den Tagen der Fastenzeit ist auch unser Kreuz nicht mehr verhüllt. Der Blick zum Kreuz wird klar.
Das Kreuz wird zu einem positiven Vorzeichen:
„Wenn Gott eine Türe schließt, öffnet er ein Fenster.“
Nicht umsonst stellen wir ein Plus in der Abrechnung mit einen „+Kreuzchen“ dar.
Und schließlich: Das Kreuz verbindet die Erde mit dem Himmel: Das ist der senkrechte Kreuzesbalken, der Stamm.
Der Querbalken dagegen erinnert an offene Arme, die niemanden ausschließen.
Es stimmt schon: das Kreuz ist im Weg. Es kann aber auch zum Weg werden. Oder zum Wegweiser.
Das Kreuz führt zur Auferstehung und zum Leben. Vor allem dann, wenn das Kreuz dafür sorgt, vieles zu verändern – oder sogar uns zu verändern.
Vor etwa 80 Jahren endete der zweite Weltkrieg. Schreckliche Jahre endeten mit der Kapitulation.
Einer hat den Menschen das Paradies versprochen. Adolf Hitler redete vom tausendjährigen Reich, in Anlehnung an biblische Verweise, in Anlehnung an den Traum von einem Land, in dem Milch und Honig fließen.
Schuld an dem Elend seines deutschen Volkes waren für ihn vor allem die Juden. Und die Slawen. Und die Zigeuner. Und die Behinderten. Und alle, die den Nazis nicht deutsch genug waren.
Und viel zu viele Menschen haben ihm geglaubt, dem falschen Propheten.
Das „Kreuzige ihn“ des Karfreitag galt den vermeintlich Schuldigen. Gebracht hat er Tod und Vernichtung. 6 Millionen Juden sind damals ermordet worden, etwa eine weitere Million andere Menschen, die nicht deutsch oder arisch genug waren.
Hitlerdeutschland hat mehr als 5 Millionen Kriegsgefangene umgebracht, davon fast zwei Millionen Polen und über drei Millionen russische Gefangene.
Die Antwort Stalins in Russland war noch verheerender. Um den Kriegstreiber mit kriegerischen Mitteln zu stoppen, ging Russland über Leichen, am Ende des Krieges waren 27 Millionen Russen im Krieg gestorben und gefallen. Diese schreckliche Zahl zeigt, dass Gewalt niemals eine Lösung sein kann.
Fast 65 Millionen Menschen sind im zweiten Weltkrieg gewaltsam gestorben. Das Kreuz auf vielen Gräbern ist Mahnmal und zugleich Friedens- und Hoffnungszeichen geworden. Nie wieder so ein Krieg. Nie wieder Fremdenhass. Nie wieder Holocaust.
Aus dieser Verantwortung heraus entstand nach dem Krieg die deutsch-französische Freundschaft und in der Folge die europäische Union. Die Lehren aus den schrecklichen Kriegsjahren führten sogar zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands und Europas vor etwa 35 Jahren, ein Prozess, der für viele unvorstellbar war.
Viele Menschen, die in den vergangenen 80 Jahren gelebt haben, haben den Wiederaufbau aus den Trümmern der Kriegshölle erlebt und ermöglicht. Nur drei Jahre nach dem Krieg wurde die Charta der Menschenrechte verabschiedet. In ihr heißt es:
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen.“
„Jeder hat Anspruch auf diese Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa rassistischer Art, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. Des Weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebiets, dem eine Person angehört.“
Für solche Überzeugungen musste Jesus sterben.
Er hat mit den Zöllnern und Sündern gegessen.
Er war Freund der Armen, der Schwachen, der Ausgegrenzten.
Er hat Menschen, die schuldig geworden waren, rehabilitiert.
Jenen, die in der Gesellschaft seiner Zeit ihre Würde verloren hatten, hat er sie zurück gegeben.
„Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. So sollt auch ihr einander lieben.“
Diese Überzeugung Jesu ist eine frühe Form der Menschenrechte, die viele Menschen schon damals nicht hören wollten.
Jene, die Jesus kreuzigen wollten, schimpften über ihn und sagten: „Was er sagt, ist unerträglich“.
Vielleicht gehen einige von uns heute wieder in diese Richtung.
Vor sieben Jahren nannte der Ehrenvorsitzende der AfD die zwölf Jahre des Nationalsozialismus, die den schrecklichen zweiten Weltkrieg ausgelöst haben, einen Vogelschiss in der Geschichte des Landes.
Er wollte diese Wahrheit nicht mehr hören. Sie war für ihn unerträglich. So wie für die Leute, die damals Jesus ans Kreuz gebracht haben.
Aber es kann keine Lösung sein, sich in eine alternative Wahrheit hineinzuflüchten, um dann in ihr vermeintlich besser leben zu wollen. Es wird irgendwann ganz sicher scheitern, sich selbst und andere zu belügen und so die Wirklichkeit nicht wahrnehmen zu wollen.
Vor wenigen Tagen meldeten die Nachrichtendienste, dass der erste von einigen Flügen mit Menschen aus Afghanistan, die vor einigen Jahren den deutschen Soldaten dort wertvolle Dienste geleistet haben, bei uns gelandet ist.
Den Menschen, die nun zu uns kommen, wurde Asyl versprochen. Der Vorgang wird plötzlich skandalisiert. Dabei wird hier nur ein Versprechen eingelöst. Ganz selbstverständlich.
Und das Asylrecht wird in Frage gestellt. Es ist ein Menschenrecht, das aus der Erklärung der Menschenrechte hervorgegangen ist. Und es zeigt uns, was Würde und Nächstenliebe bedeuten und wie wir sie praktisch umsetzen können.
„Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. So sollt auch ihr einander lieben.“
Das ist keine leere Floskel. Das ist Ostern.
Lieben, nicht hassen.
Verständnis, nicht Verachtung.
Miteinander, nicht nebeneinander oder gegeneinander.
Und in diesem Fall auch Ehrlichkeit.
Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein.
Und Gewalt, so wie jene, die Jesus bei seinem Kreuzweg erfahren hat, ist niemals eine Lösung.
Nie wieder ist jetzt.
Das ist keine Parole einiger grüner, alternativer oder linker Gruppen oder bestimmter Parteien, sondern das gilt für uns alle.
Wenn alle das beherzigen, sind viele schlimme Erfahrungen aus der Kriegszeit nicht völlig umsonst gewesen.
Es ist wichtig und es wird immer wichtiger, die Erkenntnisse, die die Kriegsgeneration am eigenen Leib erfahren musste, lebendig zu halten, denn die letzten Kriegszeugen sind hochbetagt, ihre Jahre sind gezählt.
Die Präambel der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erklärt, dass deren Nichtanerkennung und Verachtung zu Akten der Barbarei geführt habe, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen.
Jeder einzelne Mensch auf dieser Erde hat die Verpflichtung, die Würde aller Menschen unantastbar zu halten. Oder, um mit den Worten Jesu zu reden, den Nächsten zu lieben wie sich selbst.
Das ist unsere Aufgabe, vor allem als glaubende, österliche Menschen.
Und wenn alle das beherzigen, alle das leben,
dann ist Frieden.
Dann ist das Leben stärker als der Tod.
Dann ist das Kreuz ein Hoffnungszeichen geworden.
Dann ist Ostern.
Amen.