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Allerheiligen 2002

Datum:
1. Nov. 2002
Von:
Heinz Büsching

Kennen Sie Ihren Namenspatron? Haben Sie eine Beziehung zu ihm? Bedeutet er Ihnen überhaupt etwas?

In vielen Familien wird nur noch der Geburtstag gefeiert. Bei den modernen Namen kriegen wir oft gar nicht raus, welcher Heilige eigentlich dahintersteckt. Und schließlich gibt es die Namen, die darauf warten, dass mal endlich einer, der so heißt, heilig wird. Keine Sorge. Es folgt kein Rundumschlag. Heiligenverehrung war in der Kirche immer freiwillig. Auch als die Heiligen noch Hochkonjunktur hatten, gehörte Heiligenverehrung zu den freiwilligen Frömmigkeitsübungen, empfohlen, hochgehalten, aber nicht verpflichtend.

Die Freiwilligkeit ist in den letzten Jahren restlos in Anspruch genommen worden. Heiligenverehrung geht bei uns gegen Null, ausgenommen vielleicht die Marienfrömmigkeit. Das spiegelt sich auch wider in der Ausstattung unserer Kirchen. Eine katholische Kirche war in früheren Zeiten voller Bilder. Neben den Darstellungen aus der Bibel gab es in jeder Ecke und an allen Säulen die Heiligenfiguren. Der Beter war von Heiligen umgeben.

Das hatte große Vorteile. Die Messe war ja ganz in Latein, und die Predigten waren auch früher schon langweilig. Da konnte sich der strapazierte Kirchenbesucher die Bilder und Figuren anschauen. Die gaben wunderbare Anregungen und gingen tiefer als Worte. Zu jedem Heiligen fiel den Leuten eine Geschichte ein, und fast jede dieser Geschichten konnten sie mit ihrem Alltag verbinden. Natürlich kannten die Leute ihre Heiligen. Jeder hatte sein Erkennungszeichen: einer wurde mit einem Hund dargestellt, einer mit einem Hirsch, einer mit einem Löwen, einer mit einem Buch, einer mit einem Schwert usw. Ein Blick auf den Heiligen genügte – und schon wurden Bilder und Beispiele des Guten heraufbeschworen. Eins ist uns noch allen vertraut. St. Martin, der den Mantel teilt – das ist ein Bild, das jedes Kind versteht und jedem Erwachsenen, der noch nicht ganz abgebrüht ist, zu Herzen geht.

Von solchen schlichten Bildpredigten waren die Kirchen voll. Im Mittelalter, als die Leute nicht lesen konnten und die Priester nicht studiert hatten, waren die Bilder und Heiligenfiguren in der Kirche Katechismus und Bibel zugleich, sie ersetzten Religionsunterricht und Predigt.

Es war keine schlechte Pädagogik. Denn sie ging zu Herzen. Das Umgeben-Sein von diesen bunten und tröstlichen Bildern hatte noch eine andere Wirkung: der einzelne fühlte sich behütet und beschützt. Die mächtigen Helfer waren ihm ganz nah. Der einzelne fühlte sich hautnah von guten Mächten wunderbar geborgen. Und schließlich der Himmel. Der Himmel war echt attraktiv. Er war bevölkert mit interessanten, liebenswürdigen, originellen, bunten, fröhlichen Gestalten.

Unsere Auskunft, dass das Glück des Himmels zuerst und zuletzt Gott ist, Gott allein, diese Auskunft ist bestimmt theologisch richtiger und entspricht vernünftigem Denken. Aber unsere Phantasie bleibt dabei hungrig. Natürlich gab es in der Heiligenverehrung die Auswüchse, den magischen Missbrauch, die Ablenkung vom Eigentlichen. Und schließlich hielt so manche Heiligenlegende der wissenschaftlichen Kritik nicht stand. Die Heiligenverehrung wurde von der Aufklärung arg zerzaust. Und die Konzentration auf Christus unsere Mitte hat dem Glaubensleben gutgetan. Du allein bist der Heilige, heißt es im Gloria, du allein der Herr, du allein der Höchste, Jesus Christus.

Ist die Heiligenverehrung nun dumm, überholt, out und weg? Schauen Sie sich doch einmal die Zimmer unserer jungen Leute an. Die Wände sind voller Poster, knallig, bunt, blitzend. Da sieht man Helden des rauschenden Erfolges, der vitalen Schönheit und der großen Auftritte, moderne Erfolgslegenden im Bild, in einem kleinen Zimmer mehr Idole – als Heiligenfiguren in der kitschigsten Kirche.

Ich spüre den Heißhunger nach Vorbildern. Aber ich denke, dass die modernen Kultfiguren mindestens ebenso viel Fragezeichen brauchen und Aufklärung verdienen wie die alte Heiligenverehrung.

Hunger nach Vorbildern. Sind unsere Heiligen, wenn sie kritisch und genau betrachtet werden, sind unsere Heiligen so mies und unattraktiv? Ich denke an Maximilian Kolbe, der sein Leben für einen Familienvater gab. An den Berliner Dompropst Lichtenberg, der den Nazis offen seine Meinung sagte. Ich denke an Dietrich Bonhöfer, der, den gewaltsam-ungerechten Tod vor Augen, das Gebet formulierte: Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.

Und immer, wenn ich mit den Messdienern nach Assisi gefahren bin, habe ich erlebt, wie der gute alte Franziskus mit seiner fröhlichen Armut um Christi willen seine Faszination auch auf junge Leute nicht verloren hat.

Wie geht Christsein heute? Wie kriege ich Christsein heute hin? Schlaue Bücher können hilfreich sein. Noch hilfreicher sind gute Gespräche, wie ich sie etwa am Bibelabend oder im Friedenskreis erlebe. Aber am hilfreichsten ist der Blick auf Menschen, die ihr Christsein praktisch und glaubwürdig und vorbildlich leben oder gelebt haben. Die müssen nicht im Heiligenkalender stehen. Wenn Sie an Ihre verstorbenen Angehörigen denken – was ist das Beste, was sie Ihnen mitgegeben haben?