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Predigt am 4. Sonntag der Osterzeit 2021

Datum:
25. Apr. 2021
Von:
cj

Liebe Christen, 

du sollst den Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft.

Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.

Das ist ein Kernsatz des Christentums, ein Grundstein, ohne den Christ sein nicht geht.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

Das ist ein Kernsatz unseres Grundgesetzes, ein Grundstein, ohne den unser Staat nicht funktioniert.

Beide Grundsätze sind inhaltlich sehr nah beieinander. Die Aufforderung, den Nächsten zu lieben ist inhaltlich nichts anderes als die Aufforderung, die Menschenwürde zu achten. 

Die Könige, die seit einigen Wochen bei uns zu Gast sind, sind gleichermaßen Botschafter der Nächstenliebe und Botschafter der Menschenwürde. 

In den frühen Morgenstunden des vergangenen Donnerstags wurde das, was Jesus das größte Gebot nennt, und zugleich – wie unser Grundgesetz sagt – die Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft aufs Übelste verletzt. 

Nicht von Verbrechern oder Halunken, sondern von Ordnungskräften. Nicht von Terroristen, sondern von jenen, die in unserem Land eigentlich für Recht und Ordnung sorgen sollen. 

Sie werden es in der Zeitung gelesen oder in der WDR-Lokalzeit oder aus den sozialen Medien erfahren haben. Eine Mutter, die aus Albanien stammt, wurde mit drei Kindern zusammen abgeschoben. Seit vielen Jahren lebte die Familie im alten Pfarrhaus gleich hinter dem Pfarrheim in Happerschoß. Die jüngeren Kinder besuchten unsere Kita, sprachen fließend Deutsch, ihre Heimat ist hier bei uns. 

Als der Vater gegenüber Frau und Kindern gewalttätig wurde und seiner Frau gedroht hat, sie umzubringen, wurde er nach Albanien abgeschoben. Das wurde allgemein begrüßt, schützte es doch die Mutter und die Kinder vor Gewalttaten. Dies ist bereits eine Weile her. 

Aufgrund schwerer häuslicher Gewalt war die Mutter traumatisiert, sie konnte sich nicht allein um ihre Kinder kümmern. Anfang der Woche begab sie sich deshalb – zum wiederholten Male – in ein psychiatrisches Krankenhaus, in die geschlossene Abteilung, um sich helfen zu lassen. Ihre jüngeren Kinder wurden in einer Einrichtung der Diakonie betreut, der älteste Sohn, ein minderjähriger Jugendlicher, war am Donnerstag das einzige Familienmitglied, das sich im Happerschosser Pfarrhaus aufhielt.

Am frühen Donnerstagmorgen zwischen 3 und 4 Uhr holten Ordnungskräfte unseres Rechtsstaates, der sich dem Grundgesetz verpflichtet weiß, die Mutter aus der geschlossenen Abteilung des Krankenhauses heraus, wo sie kollabierte und nahmen sie trotz ihres schlechten Gesundheitszustandes mit zum Flughafen. Die zwei Kinder wurden aus der Diakonieeinrichtung geholt und der Jugendliche aus dem Pfarrhaus. Die Ordnungskräfte verschafften sich gewaltsam Zugang zu der Wohnung und führten den Jugendlichen mit großem Polizeiaufgebot – Nachbarn berichteten von mindestens vier Fahrzeugen - in Handschellen ab. Der Jugendliche war wohl gewaltsam aus seinem Bett geholt worden und verließ das Haus halbnackt. 

Die Mutter wurde mit ihren drei Kindern noch am selben Morgen nach Tirana ausgeflogen. Dort sollte sie ärztlich betreut werden. Wir stehen in Kontakt zu der ausgewiesenen Familie. Der Mutter geht es sehr schlecht und von ärztlicher Betreuung in Tirana war keine Rede. Niemand hat zudem die Frage beantwortet, was für ein Unglück passieren kann, wenn der Vater seine Frau und die Kinder, die jetzt ja ganz nahe bei ihm sind, aufspürt und wieder gewalttätig wird. 

Einer der meistzitierten Sätze der Welt lautet: „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“

Seit fünf Jahren lebt diese Familie in unserem Pfarrhaus. Viele Menschen aus unserer Mitte haben sich um sie gekümmert. Wir haben uns diese Menschen vertraut gemacht – und sie haben uns getraut, unseren Leuten, aber auch unserem Land, unserem Recht, unserer Sicherheit, auf die viele so stolz sind. 

Heute im Evangelium wird uns das Bild vom guten Hirten vorgestellt. Es ist die Aufforderung, sich zu kümmern. Im Sinne eines allgemeinen Priestertums sind wir alle in der Nachfolge Jesu gute Hirten, die sich umeinander kümmern sollen. Und auch zum Umgang mit Fremden äußert sich Jesus sehr klar:

Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind, auch sie muss ich führen.

Der Härtefallkommission NRW und dem Petitionsausschuss des Landes ist diese Verantwortung, die wir alle füreinander haben, bewusst. 

Sie hatte dem Rhein-Sieg-Kreis empfohlen, der Mutter und ihren Kindern wegen der besonderen Umstände und der Schutzbedürftigkeit aller vier Personen eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen. 

Sowohl der Kreis als auch das Land werden mehrheitlich von Politikern regiert, die sich christlich nennen. Während die Verantwortlichen auf der Landesebene ihren christlichen Überzeugungen nachgekommen sind, wurden diese auf der Ebene des Rhein-Sieg-Kreises sträflich ignoriert. Diese Ignoranz sorgt für unvorstellbares Leid bei den Betroffenen, die nun krank und hilfsbedürftig in einem Land gestrandet sind, in dem die Mutter vor vielen Jahren einmal aufgewachsen ist, das ihnen aber jetzt keine Perspektive bieten kann. 

 

Liebe Christen, ich weiß, dass es unendlich viele Meinungen und Statements zur Flüchtlings- und Migrationspolitik in Deutschland und Europa gibt. 

Ich weiß auch, dass es in Albanien im Moment keinen offenen Bürgerkrieg mehr gibt und es deshalb – rein rechtlich gesehen – heute eigentlich keinen Grund mehr für politisches Asyl gibt bei Menschen, die aus diesen Ländern kommen. 

Aber ganz egal, wie wer dazu steht, Tatsache ist, dass die Familie seit fünf Jahren bei uns wohnt und unsere Hilfe braucht. Und das Gebot der Nächstenliebe ist eindeutig und kennt keine Kompromisse. Diese Menschen sind da, sie brauchen Hilfe, wir müssen ihnen helfen. Das haben Leute aus unseren Gemeinden getan, von Seiten der Diakonie und Menschen aus der Nachbarschaft. 

Diese armen Menschen einfach wegzuschaffen – aus den Augen, aus dem Sinn – ist keine Lösung. 

Wenn wir die Not der Menschen, die als neue Nachbarn zu uns kommen, ignorieren oder behaupten, wir sind nicht zuständig, belügen wir uns selbst und machen uns mitschuldig am Leid der Betroffenen. 

Die christliche Nächstenliebe und das Selbstverständnis unserer Bundesrepublik, die sich die Unantastbarkeit der Menschenwürde auf die Fahne geschrieben hat, lässt in dieser Lage nur eine Konsequenz zu, nämlich die sofortige Rücknahme der Ausweisung und die Rückführung der Mutter und ihrer drei Kinder zu uns nach Happerschoß. Das mag rechtlich nicht ganz unproblematisch sein. Dennoch bitte ich Sie alle, als Christen im Sinne praktizierter Nächstenliebe zu handeln und dieses Anliegen nach Kräften zu unterstützen.

Wir sind Christen. Wir helfen einander und schaden uns nicht. Wenn Unrecht geschieht, dürfen wir nicht schweigen. Das war immer unser Auftrag, und das wird auch so bleiben.

Amen.