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Merry Christmas, Profe!

Wieder einmal ist viel Zeit nach meinem letzten Blogeintrag vergangen. An den Blogeinträgen sieht man die Zeit durch die Finger rieseln: Mein letzter Blogeintrag ist praktisch schon wieder zwei Monate her, dabei fühlt es sich an, als wäre der Eintrag fast noch „frisch“.
2017-01-27_Konstantin_Merry Chrismas 01
Datum:
27. Jan. 2017
Von:
Konstantin Bertling

Dennoch ist seit dem letzten Eintrag viel passiert: Weihnachten, komplette Veränderung meines Arbeitsplans, zwei Kurzurlaube, Silvester, und so weiter.

An mich selber habe ich eigentlich immer den Anspruch, einen kurzen, knackigen Blogeintrag zu schreiben, der nicht schon nach dem ersten Absatz langweilig wird. Dies verbietet mir schon fast, die ganzen oben genannten Ereignisse hier jetzt herunter zu berichten. Aber vielleicht muss ich dann jetzt auch einmal über meinen Schatten springen (mir, einem eingefleischten Deutsch-LKler fällt dies gar nicht so leicht).

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Deswegen beginnen wir direkt einmal mit dem Titel: Merry Christmas, Profe! Warum fröhliche Weihnachten auf Englisch? Warum das Wort Lehrer (Profesor -> Profe) auf Spanisch?

 


Riiiichtig, ab Dezember habe ich begonnen, Englischunterricht zu geben, zweimal die Woche, in den sogenannten Nivelationsklassen. In den Klassen werden Bewohner und ehemalige Bewohner des Jungenheims Casa Hogar de Jesús und des Mädchenheims Valle Feliz unterrichtet. Die Klassen haben den Zweck, dass die Kids, die häufig eine längere Zeit nicht die Möglichkeit hatten, eine normale Schule zu besuchen, auf ein Level zu bringen, dass sie wieder in eine normale Unterrichtsklasse einsteigen können.

 


D.h., dass zum Beispiel in einer Nivelationsklasse ein Sechzehnjähriger zusammen mit einem Neunjährigen unterrichtet wird, da sie sich ungefähr auf dem gleichen schulischen Level befinden. Im Prinzip steht hinter diesen Klassen ein super Konzept, was aber in vielen Situationen gar nicht so leicht umzusetzen ist: Viele Kinder haben lange Zeit ihres Lebens weder eine richtige Erziehung, noch eine Form von Schulbildung erfahren. So treten im Unterricht Probleme auf, die man aus seiner eigenen Schullaufbahn gar nicht kannte: Einige Kinder sind beispielsweise direkt komplett demotiviert, sobald sie einen kleinen Fehler machen. Dies ist ja eigentlich kein großes Problem, für einige Kids aber nun mal schon. Des Weiteren habe ich ja schon erwähnt, dass teilweise Neunjährige mit Sechzehnjährigen unterrichtet werden. In so einer Situation denkt sich der Sechzehnjährige natürlich auch: „Mein Zug ist schon abgefahren, ich werde sowieso nicht mehr viel lernen, ich werde eh in einem handwerklichen Beruf arbeiten“, usw. Auch ein Problem, besonders für die ehemaligen Bewohner der Heime, die jetzt wieder bei ihrer Familie wohnen, aber immer noch in die Nivelationsklassen gehen, ist mangelnde Förderung am Nachmittag: Die Schule geht von sieben bis ein Uhr, danach sollten am Nachmittag die Hausaufgaben erledigt werden. Die Kids aus den Kinderheimen haben dafür am Nachmittag ihre Erzieher, die sie hierbei unterstützen. Die Kids, die wieder bei ihren Familien wohnen, wären zwar auch auf Hausaufgabenunterstützung angewiesen, bekommen diese aber häufig nicht, da die Familie häufig selber nicht viel mehr Bildung erfahren hat.

 

Dennoch war ich sehr zufrieden über die Ergebnisse der ersten Klassenarbeit in Englisch. Sie war zwar noch nicht „extrem“ anspruchsvoll, aber dennoch auch nicht zu einfach.

Ein anderes cooles Resultat aus dem Englischunterricht kam vom sechsjähriges Isaiás: Er geht in eine Nivelationsklasse da er einerseits noch nicht lesen und schreiben kann, aber andererseits auch enorme Probleme bei der Aussprache vom Spanischen, also seiner Muttersprache hat. Da er weder lesen noch schreiben kann, war er natürlich auch im Englischunterricht nicht gerade präsent. Aber dann ist er irgendwann nachmittags im Heim zu mir gekommen: „Good Morning!“ und hat dann auf Englisch bis 15 gezählt. Das hat mich extrem gefreut, da ich selber ihm eigentlich gar nicht so viel zugetraut hätte, eben weil er noch nicht lesen und schreiben kann.

Seit neuestem gebe ich jetzt am Wochenende auch noch Basketballunterricht. Hier treten, wie eigentlich zu erwarten war, viele Phänomene seitens der Kinder auf, die ich auch schon aus dem Englischunterricht kenne: Sehr schnelle Demotivation bei Fehlern, oder generell keine Motivation, teilweise auch das Nichtanerkennen von Regeln.

Dazu möchte ich aber im Allgemeinen auch noch einmal sagen: Es sind Kids, die aus schweren Familiensituationen kommen. Es sind Kids, die schon sehr viel Leid in ihrem Leben erfahren haben. Es sind Kids, die teilweise wenig Erziehung bekommen haben. Dennoch: Die meisten von ihnen sind sehr herzlich und aufgeschlossen, und ich sehe für mich in der Arbeit mit diesen Kids die große Chance, mit einer Art von Kindern zu arbeiten, die ich wahrscheinlich in Deutschland so nicht vorfinden werde.

 


Übrigens: Soviel Zeit für die ganzen neuen Projekte habe ich dadurch, dass das Sozialarbeiterprojekt „Erradicación de trabajo infantil“, bei dem ich vorher immer mitgearbeitet habe, von der Regierung vorläufig erst einmal auf Eis gelegt wurde, d.h. die Förderungsmittel gestrichen wurden. Dies resultiert auch daraus, dass im Februar die Präsidentschaftswahlen anstehen, und noch nicht feststeht, ob der zukünftige Präsident sich auch so intensiv in soziale Projekte investieren wird.

 


Die Weihnachtszeit und das Weihnachtsfest verliefen für mich eher ein wenig unspektakulär: Bei täglichen Temperaturen zwischen 25-30 Grad kommt man, an Temperaturen um null Grad gewohnt, einfach nicht so richtig in Weihnachtsstimmung. Nichtsdestotrotz haben wir mit den Kids im Heim ein schönes Weihnachtsfest gefeiert: Wir waren zusammen in der Messe, haben viel und lecker gegessen. Meine Mitfreiwillige Bernadette und ich haben noch mit eine der coolsten Aufgaben bekommen: Spender aus Deutschland haben für alle Kids einen neuen Satz Klamotten, d.h. Jeans, T-Shirt und Schuhe bezahlt. Wir durften diese an die Kids austeilen. Ich kann mich nicht darin erinnern, mich selbst einmal so über neue Klamotten gefreut zu haben. Zitat vom Vierjährigen Santiago: „Das sind ganz neue Klamotten, nur für mich?“

Übrigens war ich seit dem letzten Blogeintrag auch noch zweimal im Kurzurlaub, also jeweils ein Wochenende. Das erste Ziel war das Küstenstädtchen Canoa, das zwar sehr stark vom Erdbeben betroffen war, aber jetzt schon wieder zum Großteil aufgebaut wurde. Dort habe ich einfach mal zwei Tage nur am Strand die Zeit vergehen lassen, und habe natürlich trotz 50er Sonnencreme einen starken Sonnenbrand bekommen.

Zweites Ziel war Mindo, ein Städtchen zwischen Santo Domingo und Quito. Eigentlich auch ein sehr schönes Reiseziel, aber leider bin ich direkt nach der Ankunft krank geworden und war so dann doch wieder froh, nach den eigentlich sehr schönen Anblicken der Naturlandschaften wieder nach Santo Domingo zurück zu kehren.

Soooo, das soll es dann jetzt auch gewesen sein von meinem literarisch nicht ganz einwandfrei geschriebenen Bericht. Nach diesem Bericht wird die Zeit zu rasen beginnen: Im Februar habe ich zuerst eine Woche Seminar, dann kommen mein Bruder Alexander und unser Kumpel Felix und wir machen drei Wochen Ecuador (wie man jetzt heutzutage sagt) Roadtrip. Dann beginnen hier auch schon die zweimonatigen Schulferien, und dann ist auch schon Mai.

In der Hoffnung, dass ihr hier trotz der rennenden Zeit noch viel von mir lesen könnt, wünsche ich euch ganz viele Grüße aus Ecuador y bastante gasolina (ordentlich Benzin).

 

Euer Konni