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Wir sind wunderbare Gedanken Gottes (Ostern 2006)

Datum:
16. Apr. 2006
Von:
Christoph Jansen

Der Tod hat nicht das letzte Wort. So stark, so unbarmherzig und so sicher der Tod auch ist, er ist nicht das Ende von allem.

Wir versinken nicht in der Sinnlosigkeit und Verzweiflung des Vergessens. Wenn wir einen Platz im großen Herzen Gottes haben, dann bleiben wir. Nicht als Phantasien eines alten Mannes mit Bart, der auf einer Wolke sitzt, sondern als das, als was wir geschaffen sind, Geschöpfe sind: als wunderbare Gedanken Gottes, denen er freien Lauf lässt, wenn er uns die Freiheit schenkt, in der wir leben. Und diese wunderbaren Gedanken Gottes sind keine Hirngespinste, sondern sie sind so real wie die ganze Schöpfung, Erde und Menschen.

Und wenn wir Gottes Gedanken sind, die er nie im Leben vergisst, die er über alles liebt, denen auch unser Tod nichts anhaben kann, dann wünscht sich Gott nichts sehnlicher als dass er auch unser erster und wunderbarster Gedanke ist. Wer so stark an ihn denkt, wer so intensiv nach ihm sucht, von dem lässt er sich finden.

Von den drei Weisen, den Hirten, von Simeon und Hannah gleich nach Jesu Geburt, von Petrus und Johannes, von den Frauen am Grab, von den anderen Aposteln lässt er sich finden. Und auch dem, der länger sucht, dem Zweifelnden, Thomas, verschließt er sich nicht.

Wir Geschöpfe sind groß, erwachsen geworden. Aus Gedanken und Ideen Gottes wurden wir zu selbständig denkenden Menschen. In uns hat der Schöpfer sich ein Gegenüber geschaffen. Nach seinem Abbild hat er uns geformt, und dann hat er uns in die Freiheit entlassen. Und das hat er nur getan, weil er lieben wollte, ganz und gar, nicht sich selbst, sondern ein Gegenüber, wie ein guter Vater oder eine gute Mutter die Kinder liebt.

Wenn sich Gottes Liebe nichts mehr wünscht als Gegenliebe, ist dies eine klare Aufforderung an uns. Wir sollen Gott lieben mit all den Talenten, mit all der Kraft, die uns geschenkt wurde oder die wir erworben haben – aber nicht als Einsatz für einen Handel. Gott lässt nicht mit sich handeln. Sondern aus Dankbarkeit. Weil wir von Gott geliebt sind.

Ich glaube, Gott liebt nicht automatisch den mehr, der sich ihm dauernd neu ins Gedächtnis ruft durch Gebet, gute Taten, regelmäßigen Kirchbesuch und was so alles zu einem guten Christen gehört. Aber er freut sich über seine Dankbarkeit. So wie er traurig ist über seine verlorenen Schafe, über die, die er ganz genauso liebt, die ihrerseits aber aufgehört haben, nach ihm zu suchen.

Abraham fühlt sich Gott verbunden wie kein anderer. Schweren Herzens gehorcht er ihm, der Unmenschliches von ihm fordert und lernt: Gott ist nicht unmenschlich, sondern zutiefst menschlich, und er will nicht den Tod des Sohnes, sondern zigtausendfaches Leben, so zahlreich wie die Sterne am Himmel und der Sand am Meer. So zeigt Gott dem Abraham seine Dankbarkeit, indem er in ihm einen Anfang setzt für die Freiheit der Kinder Gottes.

Gottes wunderbare Gedanken, zur Freiheit berufen, das Volk Israel gerät unverschuldet in die Knechtschaft Ägyptens. Und Gott hilft der Freiheit auf die Sprünge, holt sein Volk aus der Unfreiheit heraus, alle, die an ihn glauben, die sich frei für ihn entschieden haben, so zeigt er sich erkenntlich für die Treue und Liebe, die sein Volk ihm auch in Gefangenschaft geschenkt hat.

Aber Gottes eigenes Volk gerät in die Krise, macht sich selbst erneut zum Sklaven, tanzt ums goldene Kalb, und Gott gerät in Vergessenheit.

Gott lässt sich finden von dem, der ihn sucht. Auch seine Schöpfung, sein gelobtes Land, das muß erst gefunden werden. Weil Israel seinen Gott immer wieder vergisst, braucht es so lange, 40 Jahre, für die relativ kurze Strecke von Ägypten nach Israel. In der Not erinnert sich das Volk an Gott, und er hilft. Aber so wie sie Gott verlieren, verlieren sie auch das Ziel ihrer Wanderung aus den Augen, finden nicht aus der Wüste heraus.

Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus und Salome gehen zum Grab Jesu. Zwar haben sie Öle gekauft, um den Leichnam zu salben, aber sie suchen keinen Toten, sie sind vielmehr auf der Suche nach Gott.

Ein sehr großer Stein ist vor das Grab gewälzt worden, und die Frauen haben niemanden besorgt, der ihnen den Stein wegwälzt, obwohl sie bei der Grablegung dabei waren. Sie können den Leichnam Jesu nicht erreichen, von vornherein nicht.

Sie sind auf der Suche nach Gott, und wo sollen sie ihn finden, wenn nicht an der Stelle, an der Jesus begraben ist? Denn Jesus war der Mensch im Leben der drei Frauen, der so von Gott erzählt hat, als habe er ihn gefunden. Und er hat in seinem Leben Spuren gelegt, damit die Menschen, die auf der Suche sind, ihn auch finden können.

Gott lässt sich finden. In der Gestalt des Engels redet er mit den Suchenden. Er schickt die Frauen nach Galiläa. Sie sollen zu Botschaftern für die Auferstehung werden. Sie sollen zu den Jüngern gehen und ihnen sagen: Gott lässt sich immer noch finden, er ist nicht tot. Und sogar Jesus, der ein für alle Male gestorben ist, lebt, ist stärker als der Tod, konnte nicht im Tod bleiben.

Gott liebt alle Menschen. Aber er will denen seine Dankbarkeit zeigen, die ihn lieben. Deshalb zünden wir Kerzen an. Deshalb halten wir Fürbitten. Deshalb beten wir für unsere Verstorbenen. Deshalb sind wir überhaupt hier. Weil die Liebe stärker noch ist als der Tod. Und dessen können wir uns sicher sein. Auch wenn es viel Leid und Todeserfahrung in der Welt gibt.

Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer hat im Konzentrationslager nicht mit Gott geschimpft, dass er ein solches Leid zulassen kann, sondern zu ihm dankbar gebetet. Von guten Mächten wunderbar geborgen fühlte er sich und von Gott begleitet im tiefsten Leid. Ein solcher Glaube verdient Hochachtung, und er versteht voll und ganz das Geheimnis von Ostern.

Wir sind die wunderbaren Gedanken Gottes. Mit den Gedanken, mit denen er Licht, Wasser, Luft und Erde geschaffen hat, hat er auch uns sich wunderbar ausgedacht. Und er hat uns zur Freiheit berufen. Er lässt zu, dass wir, die wir Gottes wunderbare Gedanken sind, uns weiterdenken, weiterentwickeln können in bunter Vielfalt und millionenfacher Einmaligkeit. Gottes wunderbare Gedanken gehen nie verloren, bringen Licht ins Dunkel unseres Lebens, Hoffnung in die Hoffnungslosigkeit, Lebensmut in die Todesangst.

Wir können uns in unserer Freiheit auch gegen Gott entscheiden oder ihn ignorieren, als sei er nicht da. Aber wenn wir uns für ihn entscheiden, immer neu nach ihm suchen, lässt er sich finden, zeigt uns seine Dankbarkeit mitten im Leben und nimmt uns die größte Angst, die wir haben, die vor dem Nichts, vor der Sinnlosigkeit, vor dem Tod.

Wir sind dazu berufen, Gottes wunderbare Gedanken weiterzudenken. Vielleicht ist das auch ein Schlüssel zu einer positiven Missionsarbeit in einer Welt, in der Gott für viele Menschen keine Rolle mehr spielt. Sagen Sie an Ostern einfach einem Menschen, vielleicht auch einem, der den Kontakt zum Glauben längst verloren hat: „Du bist ein wunderbarer Gedanke Gottes“. Denn auch den, der Gott längst vergessen hat, trägt Gott noch fest in seinem Herzen. In jedem Menschen steckt etwas Göttliches, manchmal verschüttet, aber immer da.

Ostern ist der Tag, an dem wir, jeder ein Ton in Gottes Schöpfungsmelodie, zu klingen anfangen. Und diese Melodie ist stark, stärker als der Tod. Wie Jesus.

Amen.