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Warum ist diese Nacht so anders als alle anderen Nächte? (Osternacht 2012)

Datum:
7. Apr. 2012
Von:
Christoph Jansen

Warum ist diese Nacht so anders als alle anderen Nächte?

So fragt der jüngste Teilnehmer den Hausvater bei der jüdischen Pessach-Feier. Die Antwort, die er erhält, hilft, die alten Wahrheiten von Generation zu Generation weiterzuerzählen. Und es ist wichtig, das zu tun, seine Wurzeln zu kennen, den Grund der Hoffnung.

Es ist Nacht. Draußen ist es schon lange dunkel. Aber „Nacht“ ist mehr als eine Zeitangabe, das ist die Beschreibung einer Lebenssituation. Wer krank ist, fürchtet die Nacht, weil sie ihm seine Krankheit bewusst macht. Die Schmerzen quälen, die Behinderungen werden klarer. In der Einsamkeit der Nacht erfahre ich die Wahrheit über mich selbst - wer bin ich? Masken nutzen uns nichts, sie werden in der Dunkelheit nicht gesehen. Schöne Worte verklingen – sie werden nicht gehört.

Wir sind Meister im Verdrängen. Die Nacht aber lässt keine Verdrängung zu. Viele Menschen in unserer Zeit machen die Nacht zum Tage – weil sie die Nacht nicht aushalten. Sie brauchen das grelle künstliche Licht, damit neben ihren Fähigkeiten nicht ihre Unfähigkeiten sichtbar werden, neben der Macht nicht die Ohnmacht, neben der Liebenswürdigkeit nicht die Lieblosigkeit, neben der Freude nicht die Traurigkeit, neben dem Erfolg nicht der Misserfolg. Denn nichts ist dem Menschen unbekannter und erschreckender als die eigene Seele.

Zwischen Karfreitag und Ostern sind wir gezwungen, die Nacht auszuhalten, sind wir gezwungen uns selbst auszuhalten. Hier geht es um mich! Menschen, die diese Nacht, diese Stille nicht aushalten können, sind schwach. Und eine Welt, in der es die Unterschiede zwischen Festtagen und stillen Tagen, zwischen Alltag und Sonntag nicht mehr gibt, ist erschreckend monoton, eintönig, langweilig, öde, sinnentleert.

Eine neue politische Kraft in unserem Land, deren Programmatik und Inhalte sich mir noch nicht bis ins Letzte erschlossen hat, fordert genau das, 365 gleiche Tage im Jahr, keine stillen Feiertage, verkaufsoffene Sonntage, keine Vorschriften mehr. Jeder soll immer machen dürfen, was er will. Längst ist es in unserer Gesellschaft erlaubt, an der Oberfläche zu bleiben, sich von Féte zu Féte zu schwingen und das Leben zu genießen. Gelegentlich habe ich da auch meine Freude dran.

Aber alles hat seine Zeit!

Wenn an hohen kirchlichen Feiertagen Menschen vor den Kirchen tanzen und feiern, einen sogenannten „flashmob“ veranstalten, um gegen die verordnete Stille und Feiertagsruhe zu demonstrieren, ist dies zutiefst rücksichtslos und asozial, denn jenen, die an diesen Tagen Einkehr und Stille brauchen, wird sie auf diese Weise genommen.

Wer selber nicht den Mut hat, die Nacht, die Stille auszuhalten, ist keineswegs dazu berechtigt, andere davon abzuhalten. Das angeblich so hehre Ziel einiger junger Politiker, die persönliche Freiheit und Selbstbestimmung an die oberste Stelle der Werteskala zu setzen, scheitert daran, dass jene, die an Sonn- und Feiertagen auf einmal großen Lärm ertragen oder arbeiten müssen, leider nicht danach gefragt werden, ob sie es auch wollen.

So kommt es durch die Verwerktagung der Sonn- und Feiertage eben nicht zu größerer Selbstbestimmung der Menschen, sondern lediglich zu einer Umverteilung. Eine Liberalisierung der bestehenden Gesetze bedeutet demnach, dass auch jene Menschen an Sonn- und Feiertagen arbeiten müssen, die das nicht wollen, damit andere ihren Spaß nicht nur an 300 Tagen im Jahr haben können, sondern an 365 Tagen.

Wir aber haben uns versammelt nach dem Tag des Sterbens Christi und am Ende des Tages der Grabesruhe, um in der Nacht ein Feuer zu entzünden, weil wir an den Tod des Lichtes nicht glauben.

Wir haben uns Geschichten erzählt, die alten Geschichten, die uns sagen: Wir sind Geschöpfe Gottes, erschaffen in Freiheit; die uns sagen, Gott will nicht de Versklavung des Menschen, weder in der Knechtschaft Ägyptens, noch in der Knechtschaft des Geldes, der Drogen, der Ausbeutung, der weltweiten Abhängigkeiten; Gott will nicht die ewige Nacht!

Jesus ist auferstanden. Er, der hinabgestiegen war in das Reich des Todes – hinabgestiegen in die Dunkelste der Dunkelheiten – er leuchtet uns heute. Er hat den Tod besiegt und uns durch sein einmaliges Sterben und Auferstehen gezeigt, dass es keine Abgründe gibt, so tief und dunkel sie auch sein mögen, in die er nicht mit gehen kann, die er nicht hell machen kann.

Diese Nacht ist wirklich anders als alle anderen Nächte.

Die Frauen kommen vom Grab und erzählen, was sie erlebt haben, vor allem aber, wie eingetroffen ist, was Jesus beim Abendmahl gesagt hatte, und die Apostel tun es ab als Weibergeschwätz, als Unsinn.

Nur einer steht auf und läuft zum Grab. Einer, der zwei Nächte hinter sich hat, wie er sie sich nie gewünscht hat und nie mehr wünschen wird. Petrus - er war hinabgestiegen in die Tiefe seiner Seele. Was hatte er nicht alles gewollt – und letztlich war er doch nur voller Angst und ein Feigling gewesen. Er wollte dreinschlagen und anstelle des Meisters sterben, und dann hatte er ihn am Kreuz hängen sehen und begriffen, was er gemeint hatte, als er sagte: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben hingibt für seine Freunde.“ In der Dunkelheit dieser Nacht ist es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen: Es wird ihm bewusst, dass er sich letztlich immer geweigert hat, sich lieben zu lassen, dass er sich letztlich immer geweigert, sich von Jesus retten zu lassen – er wollte alles selber schaffen, wollte stark sein und scheitert letztlich an seiner eigenen Schwäche. Er wollte der Retter sein und muss doch gerettet werden. Wie schwer ist es doch, sich wirklich lieben zu lassen! Es ist schwerer als andere zu lieben!

Wer so weit gekommen ist, für den ist klar, dass das Kreuz nicht das Ende gewesen sein kann. Jetzt verstehen wir die Unruhe, die den Petrus erfasst; jetzt verstehen wir, dass er zum Grab rennen musste. Aber als er schließlich da war, waren da keine Engel, sondern nur ein leeres Grab. Staunend ging er nach Hause. Später werden die Apostel sagen: „Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen.“(Lk 24,34)

Petrus macht eine Erfahrung der Stille. Er geht zum Grab und ist dort ganz allein. Nicht einmal der Leichnam ist mehr da. Er braucht Ruhe, braucht Zeit zum Nachdenken, Zeit, das Erlebte sacken zu lassen. Am Ende ist dieser stille Ort ein Wendepunkt in seinem Leben. Die Liebe Christi ist stärker als der Tod. Jesus lebt – und liebt. Er ist niemals wirklich weg gewesen. Er hat ihn niemals allein gelassen.

Deshalb – wegen dieser Erfahrung ist diese Nacht so anders alle anderen Nächte!

Liebe Schwestern und Brüder, die Welt mag uns vieles ermöglichen – man kann nur staunend betrachten, wie sich die Welt allein in den letzten 50 Jahren verändert hat – was alles erfunden und möglich gemacht wurde, um das Leben zu erleichtern. Nur eine solche Botschaft bringt sie nicht hervor. Die Welt kann das Scheitern nicht aushalten, ob es die Unfruchtbarkeit ist, die sogar das „Klonen“ von Menschen für nicht mehr unmöglich hält – ob es das Leid der Alten und Kranken ist, das immer wieder Forderungen nach aktiver Sterbehilfe aufkommen lässt – es gibt viele Beispiele.

Die Welt kann das Scheitern nicht aushalten - deshalb bleibt ihr das Kreuz ein Ärgernis und sie wird nie zur Hoffnung von Ostern finden. Würden die stillen Tage – Karfreitag, Allerheiligen, Volkstrauertag – abgeschafft, dann wäre es konsequent, auch den Tod und die Trauer abzuschaffen. Und weil das nicht geht ohne Gott, ist die Forderung nach Abschaffung dieser stillen Tage unehrlich, unvollkommen, nicht zu Ende gedacht. Der Weg durch die Passion bis zum heutigen Fest der Auferstehung ist wahrlich kein Spaziergang. Er führt den Petrus und uns durch tiefste Dunkelheiten. Das ist nicht immer angenehm. Aber wir stehen vor der Wahl, diese Konfrontation mit uns selbst anzunehmen oder zu verdrängen, ehrlich mit uns selber umzugehen oder uns selbst zu belügen.

Wir können die Fastenzeit, die Passion, den Karfreitag, unsere ganze Endlichkeit und Hilflosigkeit verdrängen. Dann ist der Karfreitag und auch Ostern am Ende ein Tag wie jeder andere. Und wir dürfen feiern und leben – so lange wir gut drauf sind – um irgendwann in ein tiefes, bodenloses Loch der Hoffnungslosigkeit zu fallen, in dem niemand bei uns ist.

Aber wenn wir wie Petrus die Herausforderung annehmen und uns vom Herrn retten, erlösen und lieben lassen, wird er uns aus dem Dunkel ins Licht führen, aus dem Tod ins Leben. „Geht und sagt es allen weiter – das ist die Botschaft des Auferstandenen. Die Welt braucht diese Botschaft, sie braucht solche Tage wie Karfreitag und Ostern, braucht Zeiten der Trauer und Zeiten der Freude, weil ihr sonst das Menschliche fehlt, weil sie sonst irgendwann in Langeweile und Hoffnungslosigkeit ersticken würde.

Vor Gott geht es nicht darum, immer gut drauf zu sein, es geht darum, ehrlich zu sein. Es geht auch nicht um verordnete Trauer oder verordnete Freude, sondern um die echte Erfahrung von Sonne und Regen, Licht und Schatten, Tag und Nacht, Stille und Freude. Trauer und Glück.

Nur so können wir ehrlich zu uns selber sein – und damit auch ehrlich zu den Menschen um uns herum. Und nur so können wir die Erfahrung des Petrus am eigenen Leibe machen: Wir können die Dunkelheiten der Welt – und die Dunkelheiten unseres eigenen Lebens – nicht alleine hell machen. Verdrängen können wir sie, aber ehrlich ist das nicht.

Die Erfahrung des Petrus ist doch: Da ist einer, der mich liebt, auch, wenn ich scheitere, wenn ich schwach bin und kraftlos, und seine Liebe ist bedingungslos – und stärker als der Tod. Und das ist der Grund zu wirklicher echter Osterfreude, zu Freude, die Tiefgang hat, die aus unserem Innersten kommt und die ehrlich ist.

Amen.