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Predigt an Pfingsten 2021

Liebe Christen, es ist Pfingsten, die Kirche hat Geburtstag. Wie feiern wir diesen Geburtstag? Sollen wir ihn überhaupt noch feiern?
Datum:
23. Mai 2021
Von:
cj

Ist es der Geburtstag einer hochbetagten, kranken Institution, die bald schon nicht mehr unter uns weilt?

Ein wenig wie der 90. Geburtstag, Dinner for one? Keiner mehr da außer dem Butler?

Oder feiern wir eine junge Kirche, die Mut hat, Kraft, Weisheit, Stärke und Gottesfurcht?

In dieser Frage steckt eine andere, nämlich die, wie und ob es weitergeht mit der Kirche. Hat sie vor allem Zukunft oder hat sie vor allem Vergangenheit? 

Die Antwort ist einfach – und kompliziert zugleich. 

Sie ist absolut überzeugend, fordert uns aber viel ab.

 

Wenn in der Kirche der Geist Gottes weht, hat sie Zukunft. Wenn er das nicht tut, nicht.

Denn nur dieser Geist Gottes macht die Kirche zu jener ganz besonderen Institution, die sie seit dem ersten Pfingsten war. Nur er läßt uns die Türen aufreißen, nur er sorgt dafür, daß wir wahrgenommen, verstanden und ernst genommen werden. 

Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle an einem Ort. Aus Angst vor den anderen blieben die Türen verrammelt. Die Jünger saßen da, dachten an die gute alte Zeit und warteten.

Niemand kam zu ihnen, denn die Türen waren versperrt. 

Und dass einer von ihnen ging, den Kreis verließ, in dem nichts geschah außer warten und beten, war wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit. Noch waren sie da.

Aber eigentlich war alles aus und vorbei. Die Geschichte mit Jesus, die sie erlebt hatten, schien am Ende zu sein. Sie wußten, warum Jesus gestorben war und sie wußten um seine Auferstehung, aber wie sollte es jetzt weitergehen?

 

Wir erleben gerade in unserer Kirche eine ganz ähnliche Situation. Wir nehmen wahr, daß wir als katholische Gläubige zur Minderheit werden. 

Wir leiden an einer sterbenden Kirche.

Selbst unter Coronabedingungen sind die meisten Kirchen zu groß.

Die Kirchenchöre singen nicht mehr. Wie viele Chöre werden die Pandemie überstehen?

Und den Draht zur jüngeren Generation hat die Kirche bis auf wenige Ausnahmen komplett verloren. 

Kirchenaustritt ist der neue Trend. Rechtfertigen muss sich heute nicht mehr der Ausgetretene, sondern jene, die nicht austreten. 

Gremien der Gemeinden finden immer weniger Freiwillige, die mitmachen. Für die Wahlen zu Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat im November sehe ich noch nicht, dass es genügend Kandidaten gibt. 

Dazu kommt das Bild, das unsere Bischöfe, die obersten Hüter und Hirten der Kirche, in der öffentlichen Wahrnehmung abgeben. Die Medien weiden sich an den Fehlern, die im Rahmen des Missbrauchs- und Vertuschungsskandals gemacht wurden 
und daran, dass nicht jeder Bischof den synodalen Weg mit trägt. Dazu kommt das sogenannte Segnungsverbot für gleichgeschlechtliche Paare, mit dem die Kirche für viele endgültig gezeigt hat, dass es ihr nicht um Menschlichkeit und Liebe, sondern um Macht zu gehen scheint. 

 

Jesus sagt heute im Evangelium:

Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben.

Wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.

Für mich ist der erste der beiden Sätze wichtiger. Vergebung, Gnade, da sind wir doch alle drauf angewiesen. 

Und doch: Viele sehen eher den zweiten Satz in der Kirche verwirklicht. Sie verweigert den Segen, verweigert Menschen den Zugang zur Eucharistie, verweigert wiederverheirateten Geschiedenen den Zugang zu den Sakramenten. 

Dabei muss das Handeln der Kirche doch von Liebe, von Menschlichkeit geprägt sein, damit der gute Geist Gottes wirken kann. Es läuft nicht erst seit gestern einiges schief. 

Wenn es um diese Institution Kirche so schlecht bestellt ist, drängt sich mir die Frage auf: 

Ist das, was wir hier und heute erleben, wirklich die geisterfüllte Kirche Jesu Christi? 

Wenn ich erhebende, besondere Gottesdienste erlebe, spüre ich den Geist Gottes. Solche Gottesdienste aber sind selten geworden in Zeiten der Pandemie.

In der Gemeinschaft eines Jugendferienlagers ist Gottes Geist erfahrbar. Das Jugendlager musste ich vorgestern absagen, schon zum zweiten Mal, beim Kinderferienlager hoffe ich noch, dass es möglich sein wird. Es ist so wichtig! 

Wenn zwei Menschen sich wirklich lieben und vor den Traualtar treten, wird die Liebe Gottes, die er uns Menschen schenkt, spürbar. Aber in den letzten 15 Monaten gab es fast keine kirchliche Trauung. Die Zahl der Erstkommunionkinder und Firmlinge hat sich in den letzten fünf Jahren in unserem Seelsorgebereich halbiert. 

Vieles von dem erkennbaren Niedergang mag der Pandemie geschuldet sein, aber vieles auch nicht. 

Und doch gibt es Licht am Horizont, Regenbögen am Ende des Unwetters. 

Trotz Corona werden über 40 Jugendliche aus unserem Seelsorgebereich in wenigen Wochen gefirmt. Immerhin 60 Kinder aus unserem Seelsorgebereich, davon 40 aus der Warth, werden noch vor den Sommerferien die Erstkommunion empfangen dürfen. Und seit elf Monaten treffen wir uns jeden Sonntag bei Wind und Wetter hinter der Liebfrauenkirche oder im Livestream, um gemeinsam unseren Glauben zu feiern, weil immerhin eine Kirche in Hennef während der Pandemie zu wenige Plätze hat.

Ganz sicher geschieht der Empfang dieser Sakramente bei den meisten nicht allein aus Traditionspflege, sondern durch das Wirken des Geistes. 

Da erschien plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfegt. 

Als die Jünger ihren geschützen Raum verließen, haben sie viel Vertrautes hinter sich gelassen. 

Sie schweigen nicht mehr, sondern reden, wie der Geist Gottes es ihnen eingibt.

Sie haben keine Angst mehr, weder vor den eigenen Leuten noch vor denen, die ihnen fremd sind.

 

Wie viel Angst haben Sie?

Wie viel Angst habe ich?

Gottes Geist schenkt Mut, nicht Angst.

Er schenkt Rat, nicht Ratlosigkeit.

Er schenkt Stärke, nicht Schwäche.

Der Geist Gottes ist das entscheidende Indiz dafür, ob wir als Kinder Gottes leben oder nicht. 

Der Geist Gottes ist das entscheidende Zeichen dafür, ob unsere Kirche die Kirche Gottes ist oder nicht.

 

Ich bin fest davon überzeugt, daß der Geist Gottes die Seele der Kirche ist, das Heilige an ihr, das Zentrum schlechthin. Deshalb beten wir im Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an die eine, heilige katholische Kirche“.

Aber viele erkennen nichts Heiliges mehr an ihrer Kirche. Viele distanzieren sich, ganz ohne schlechtes Gewissen.

Wenn ich in der Kirche Gottes Geist nicht mehr erkenne,

wenn ich außerdem den Eindruck habe, von der Kirche nicht ernst genommen oder gar ausgeschlossen zu werden,

wenn in mir der Eindruck entsteht, ich gehöre nicht mehr dazu, wer will es mir übel nehmen, wenn ich schließlich austrete, die Kirche ganz verlasse?

Wir müssen uns am Geist Gottes messen lassen, und die Kirche muß es auch. Und dafür muss vieles auf den Prüfstand.

Wird in meinem Gesprächskreis, im Ortsausschuss und Pfarrgemeinderat, im Kirchenchor, im katholischen Kindergarten der Geist Gottes wirklich spürbar?

Wenn nicht: Gibt es Möglichkeiten, in dieser Gruppe oder Institution geist – reicher zu werden?

Wenn nicht: Gehört diese Gruppierung, dieser Verein sinnvollerweise noch zur Kirche oder müssen wir uns davon trennen, weil der Geist aufgehört hat, spürbar zu wehen?

Alles muß auf den Prüfstand. Alles muß hinterfragt werden. Gemeindestrukturen, Bistumsstrukturen, die Kirchensteuer, Zölibat, Geschlechtergerechtigkeit, systemische Gründe für Vertuschung und Missbrauch, die Art und Weise, wie wir Salz der Erde und Licht der Welt sind und bleiben wollen.

Wir warten nicht auf den Tod, wir warten auf das Leben. Wir alle sind getauft, viele von uns gefirmt. Wir alle tragen Verantwortung dafür, ob Gottes Geist unser Leben, unsere Welt und unsere Kirche erfüllen kann oder nicht. 

Wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen, damit der Geist Gottes wirken kann, und zwar nicht nur auf einer Wallfahrt, im Ferienlager, an Weihnachten, Erstkommunion oder zu bestimmten Situationen im Leben, sondern immer wieder.

Wo immer wir den Geist Gottes wahrnehmen, der in unserem Leben und unserer Kirche am Werk ist, müssen wir mehr tun, damit er wirken kann.

Und immer, wenn wir wahrnehmen, daß der Geist Gottes in seinem Wirken behindert oder gestört wird, müssen wir etwas verändern, damit dieser Geist wirken kann.

Nur dann, wenn wir uns als Kirche immer wieder bewegen, immer wieder reformieren, immer wieder erneuern, kann durch uns der Geist Gottes wirken. Denn Gottes Geist ist kein Geist des Stillstandes, sondern ein Geist, der bewegt. 

Je mehr die Kirche erstarrt, desto weniger ist sie Kirche Gottes. Je mehr Kirche erstarrt ist, desto schwerer ist es, sie wieder in Bewegung zu bringen. Das ist ein bisschen wie mit einer bestimmten Sorte von Oldtimern. Selber habe ich dieses Wort erst gelernt, nachdem ich mir einen alten Käfer angeschafft habe, es heißt Scheunenfund. Ein altes Auto wird in einer Scheune oder Lagerhalle abgestellt und über Jahrzehnte nicht beachtet. Da kann man sich nicht einfach reinsetzen und losfahren, das braucht ganz viel Kraft und Geduld, das alte Schätzchen wieder flott zu machen. Aber wenn es dann wieder fährt, ist die Freude groß. 

Nur in einer Kirche, die sich bewegt, kann Gottes Geist wirken. Ich hoffe und bete, dass wir sie – wie den „Scheunenfund“ – mit viel Geduld und Kraft – wieder ans Laufen kriegen. Es ist Zeit. 

Es liegt an jedem von uns, nicht herumzujammern, sondern anzufangen. Nicht auf die anderen zu warten, sondern von Liebe und Menschlichkeit getrieben geisterfüllt zu handeln. 

Bleiben wir der Kirche treu, aber bewegen wir uns und sie!

Die Kirche Jesu Christi, der den heiligen Geist gesandt hat, ist eine Kirche voller Glauben, Hoffnung und Liebe. Sie ist offen für jeden Menschen, schließt niemanden aus. 

Denn Kirche, das sind wir alle. Ohne Ausnahme. 

 

Amen.