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Predigt am 2. Fastensonntag B 2021

Liebe Christen, was Jesus mit seinen Jüngern hier tut, ist völlig ungewöhnlich. Man ging nicht einfach so auf einen Berg. Laufen musste man damals ohnehin oft genug, Autos und Züge gab es nicht, und wer aus Galiläa zum Beispiel einmal im Jahr nach Jerusalem zum Paschafest gehen wollte, war zu Fuß mehrere Wochen lang unterwegs.
Datum:
28. Feb. 2021
Von:
cj

Die Griechen glaubten, dass ihre Götter auf dem Olymp wohnen – ein Glaube, der sich über viele Jahrhunderte gehalten hat, weil keiner auf die Idee gekommen ist, einmal den Berg zu erklettern und nachzusehen, ob da oben wirklich wer wohnt. 

George Mallory, britischer Alpinist, vor fast 100 Jahren im Himalaya verschollen, antwortete gerne auf die Frage, warum er unbedingt den Mount Everest besteigen wolle: „Weil er da ist“. 

Bis heute ist das ein geflügeltes Wort unter Bergsteigern. 

Die Möglichkeit, das Abenteuer nicht zu überleben, nahm Mallory wohl billigend in Kauf. Übrigens überlebte er seine Abenteuerlust auch nicht. Vor gut 20 Jahren wurde seine Leiche an den Hängen des höchsten Berges der Welt gefunden – etwa 75 Jahre nach seinem Verschwinden. 

Wir müssen also davon ausgehen, dass der ungewohnte Ausblick vom Berg Tabor, der nur gut 500 Meter hoch ist und kein Achttausender, die Jünger Jesu sehr beeindruckt hat. Jesus wusste wohl um die Aussicht, denn von ihm wird oft berichtet, dass er sich zum Beten auf einen Berg zurückzog.

Auf einen Berg gehen – wäre das nicht eine gute Fastenübung? Wir haben sehr schöne Berge in der Nähe, das Siebengebirge ist um die Ecke. Zwei Berge sind sogar für Fußkranke erreichbar – auf den Petersberg kann man mit dem Auto fahren und der Drachenfels ist trotz Lockdown mit der Zahnradbahn erreichbar, weil die pfiffigen Bahnbetreiber, als der aktuelle Lockdown drohte, ihre Bahn nicht als Bergbahn, sondern als Teil des ÖPNV deklariert haben.

Wer besser zu Fuß ist, dem sei geraten, einmal den Ölberg oder die Löwenburg zu besteigen, das ist etwas anstrengender, aber dafür ist es oben auch nicht zu voll, was in dieser Zeit auch sehr wichtig ist.

Alle genannten Berge haben eine großartige Aussicht, und der Tabor in Israel auch. Oben ist eine andere Welt. Der Alltag bleibt unten, ist weit weg, und das, was unten ist, wirkt klein, distanziert, weniger dramatisch. 

Der Blick weitet sich und es ist möglich, bis zum Horizont zu sehen. Der Blick vom Berg herunter ist immer ein Perspektivwechsel. Man sieht die Welt mit anderen Augen.

Vielleicht war selbst Jesus überrascht darüber, dass der Gipfel eine solche Euphorie bei den Jüngern auslöst. Vielleicht war er aber auch entsetzt, weil die drei in ihren alten Denkstrukturen gefangen waren, obwohl sie auf dem Berg ihre Welt bis zum Horizont sehen konnten und durch die Verklärung sogar über diesen Horizont hinaus, weiter als je ein Mensch zuvor. Und was fällt denen ein? 

Hütten bauen. Wie banal, wie phantasielos bei dem, was die drei erlebt haben!

Wie wichtig es ist, ab und zu die Perspektive zu wechseln, wusste nicht nur John Keating, der Lehrer im Drama „Der Club der toten Dichter“, der alle Schüler aufforderte, auf das Lehrerpult zu klettern, um von dort aus die Welt anders wahrzunehmen. 

Jesus wusste das auch. Er nahm nur nicht das Lehrerpult, sondern den Berg. Dadurch hatten die drei Jünger nach dieser Erfahrung einen anderen Blick auf Jesus und einen anderen Blick auf die Welt. So haben sie Jesus an diesem Tag besser kennen gelernt als je zuvor. Der Blick in die neue Welt konnte auch ihre Sicht auf das Diesseits verändern. 

Paradox ist, dass gerade die Kirche Jesu Christi einen solchen Perspektivwechsel allzu oft verhindert hat und bis heute verhindert. Unser Glaube steht für die Weite, für die Freiheit und die Liebe, aber kirchliche Institutionen und Räume bleiben eng, perspektivlos, schränken die Freiheit ein und wissen mit Liebe nicht viel anzufangen. Das wurde im „Club der toten Dichter“ beispielhaft in Szene gesetzt. Das Neue und Erfrischende passte nicht in das System eines konservativen Internats. Die Schüler machten ihre wichtigsten Erfahrungen außerhalb des Systems, indem sie heimlich das Internat verließen, um in einem Versteck zu erleben, was im System verboten war.

Das System – in dem Film von 1989 das Internat, bis heute Teile der Kirche – nicht die ganze, das ist wichtig – scheitert daran, dass es nicht dazu bereit ist, die Perspektive zu wechseln, auf ein Pult, auf einen Berg zu steigen, um Himmel und Erde, Gott und Menschen, auf eine andere Weise zu sehen und zu erkennen als bisher, und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

Vielleicht waren Petrus, Jakobus und Johannes nicht mit Jesus auf dem Berg, weil sie Lieblingsjünger waren, sondern weil Jesus sie fähig machen wollte, ihn, die Welt, die Kirche und die Menschen aus einer anderen Perspektive, mit anderen Augen zu sehen.

Was würde Jesus heute tun? Wen würde er mitnehmen auf den Berg der Veränderung? 
Ich hoffe, sehr, dass er uns mitnimmt, uns alle.

Unsere Blickwinkel sind eng geworden. Lockdown, Inzidenz, Woelki, Impfen, Verschärfungen, Lockerungen, Schnelltests, das Wetter. 

Das kann doch nicht alles sein! Wie wenig Hoffnung, wie wenig Zukunft schwingt da mit? 

Jesus, nimm mich, nimm uns mit auf den Berg, wie damals die drei Jünger.

Und wenn wir wieder unten sind, 

hilf uns, dass das, was wir gesehen,

das, was wir erlebt haben,

uns zu neuen, veränderten Menschen macht.

Amen.