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Menschenkenntnis? Fehlanzeige ... (Gründonnerstag 2010)

Datum:
1. Apr. 2010
Von:
Christoph Jansen

Menschenkenntnis? Fehlanzeige.

Kaum steht er unter Druck, schon will er seinen Freund, sein Vorbild nie gekannt haben. Und auch den Judas Iskariot hat Jesus erwählt, Apostel zu sein. Den Verräter. Hätte der Messias die Berufung des Judas zum Apostel nicht verhindern können? Und Jesus lernt nicht daraus. Die verfehlte Personalpolitik geht nach Ostern weiter. Noch aus dem Himmel heraus bestimmt er den Christenmörder Paulus zum 13. Apostel. Der erste Nachfolger des Petrus, der oberste Christ in Rom, eine Art Kriegsverbrecher?

Zurück zum Abendmahl. Jesus geht in den Garten Getsemane und bittet seine Jünger, mit ihm wach zu bleiben und zu beten. Nicht einer der verbliebenen Elf tut, was von ihm verlangt wird. Kein einziger seiner Freunde erfüllt ihm die Bitte, in der letzten Nacht vor seinem Tod mit ihm wach zu bleiben und zu beten. In Getsemane haben alle versagt. Und doch teilt Jesus das Brot mit ihnen. Und doch teilt er das Brot mit uns. Im Matthäusevangelium wird eine Szene des Abendmahls sehr intensiv erzählt.

Während sie aßen, sprach Jesus: Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich verraten und ausliefern. Da waren sie sehr betroffen, und einer nach dem anderen fragte ihn: Bin ich es etwa, Herr?

Einer nach dem anderen. Nicht nur Judas. Jeder der Zwölf kommt in Frage. Jeder von uns. Die Zwölf Apostel sind keine Engel. Es sind Menschen. Menschen wie wir. Kirche, das sind keine Engel. Es sind Menschen. Du und ich. Wir sind Kirche.

Was aber alle Apostel auszeichnet, ist die Erkenntnis ihrer eigenen Schwäche. Sie wissen, dass sie Fehler machen. Sie verdächtigen in dieser für alle dramatischen Situation nicht irgendeinen anderen Menschen, sondern zunächst sich selbst. Sie mutmaßen nicht, wer von den anderen der Verräter sein könnte, sondern jeder von ihnen fragt sich selbst: Kann das sein, dass ich dazu in der Lage bin, einen solchen Verrat zu begehen?

Das ist meine Kirche, in der Unrecht geschieht oder geschehen ist. Das ist meine Kirche, die sich an Kindern vergangen hat. Das tut weh. Aber es ist wirklich die Kirche Jesu Christi. Jesus hat uns Menschen vertraut. Bis zur Selbstaufgabe. Gegen jegliche Vernunft. Dieses Vertrauen hat ihn das Leben gekostet. Aber wenn wir schwache Menschen wirklich Kirche Jesu Christi sind, was können wir dann tun, um auch heute, gerade heute glaubwürdige Zeugen einer frohen Botschaft zu sein?

Am Anfang steht die Bitte um Verzeihung. Papst und Bischöfe haben bereits alle Opfer sexuellen Missbrauchs um Verzeihung gebeten. Ein erster Schritt. Zweitens muss allen klar sein, auch dem größten Kirchenkritiker, dass Kirche nicht allein das Problem ist, sondern vielmehr Teil eines Problems, das nicht nur die Kirche, sondern in Wirklichkeit unsere gesamte Gesellschaft erschüttert. Weil Kirche aus Menschen besteht, hat das Problem eben vor Kirche auch nicht Halt gemacht. Kirche ist Teil der Gesellschaft, und wir haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kirche sind nicht notwendigerweise besser als andere Menschen.

Das war schon bei den Aposteln so. Jene, die zur Zeit Jesu behaupteten, sie seien besser als die anderen, das waren die Pharisäer. Ihr Programm war Scheinheiligkeit. Die Kirche Jesu Christi muss – das ist im Evangelium grundgelegt – eine völlig andere Kirche sein als die der Pharisäer. Jegliche Form von Scheinheiligkeit ist unchristlich. Und Missbrauch kann überall da stattfinden, wo Kinder und Erwachsene zusammen sind. In Kindergärten, Schulen, Familien, Kinderheimen, Sportvereinen, Jugendgruppen – überall da, wo Kinder im Mittelpunkt stehen. Und da gibt es kirchliche Institutionen, die sich um Kinder und Jugendliche kümmern, und weltliche Institutionen, die sich um Kinder und Jugendliche kümmern. Jugendarbeit ist lebenswichtig für Kirche und Gesellschaft.

Kinder sind die wertvollsten Geschenke Gottes an die Menschheit. Wenn wir uns für sie einsetzen und sie stark machen, bauen wir damit an der Gesellschaft von Morgen. Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist ein schweres Verbrechen. Er verstößt massiv gegen das wichtigste christliche Gebot, nämlich das der Nächstenliebe. Die macht uns als Christen aus, sie bewegt uns zum Handeln. Wenn wir heute mit den Aposteln und mit Christus das Brot teilen, wenn wir aus seiner Hand das Brot empfangen, sind wir alle Kirche, Leib Christi. Jeder und jede Einzelne von uns. Kirche, das sind nicht einige wenige Verbrecher, die sich an Kindern vergehen und durch ihre schrecklichen Taten die Ziele und Ideale Jesu Christi verraten haben wie damals Judas.

Kirche, das sind wir. Jeder von uns. Menschen, die in der Nachfolge Christi leben, die versuchen, seine Botschaft ernst zu nehmen, Gott und den Nächsten zu lieben. Trotz all unserer Fehlern und Schwächen, trotz all unseren Versagens.

Amen.