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Gott soll bei mir zu Gast sein ... (Weihnachten 2012)

Datum:
24. Dez. 2012
Von:
Christoph Jansen

Die meisten von uns werden es geschafft haben: Die Krippe steht. Und in vielen Haushalten wird heute Abend feierlich die Figur des Jesuskindes in die Krippe hineingelegt. Der Retter ist geboren, Jesus Christus.

Merkwürdig ist es dennoch. Millionen von Menschen werden auf einmal zu Modellbauern. Die eine Krippenlandschaft ist schöner als die andere. Viele räumen das halbe Wohnzimmer um, verschieben Tische und Kommoden, machen Platz für den Stall mit der Krippe, die Wiese mit den Hirten und Schafen, für ein Landschaftsmodell, das zwar in den wenigsten Fällen aussieht wie die Gegend bei Bethlehem, das aber vor allem eins sein muß: schön.

Für mich ist das Aufstellen der Krippe mehr als nur eine Tradition oder eine möglicherweise lästige Pflicht. Es ist viel mehr der Schlußpunkt und Höhepunkt des Advents. Mehr Vorbereitung auf Weihnachten geht nicht.

Dabei verdanken wir die häusliche Krippe im Grunde einem Verbot. Im Österreich-ungarischen Vielvölkerstaat wurde die Krippe, die zuvor nur in Kirchen und anderen öffentlichen Gebäuden stand, durch Kaiserin Maria Theresia und Kaiser Joseph II. verboten. Die Krippendarstellungen, die viele hundert Jahre zuvor populär geworden waren, vor allem durch den heiligen Franziskus, paßten gar nicht mehr in die Zeit der Säkularisation, also mußten sie weg. Die Menschen dieser Zeit wollten aber Weihnachten nicht ohne eine Krippendarstellung feiern, und so entstanden die ersten Hauskrippen. Und was dann im Alpenraum anfing, hat sich über die ganze christliche Welt ausgebreitet.

Maria gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war. Da bestimmen die Regierenden vor 220 Jahren: In unseren Kirchen ist kein Platz mehr für Maria, Josef und das Jesuskind. Wie konnte man – bei dieser Weihnachtsbotschaft – ausgerechnet die Krippe aus dem öffentlichen Leben verbannen?

Kaum jemand wollte das verstehen. Und die Menschen schaffen Platz. In ihren eigenen vier Wänden, in ihrer oft sehr kleinen, bescheidenen Wohnung, um Gott, der Mensch werden will, zu zeigen: Platz ist in der kleinsten Hütte. Bei mir kannst du wohnen. Du sollst bei mir zu Gast sein. Für dich rücken wir alle etwas enger zusammen. Wenn schon die hohen Herren aus Kirche und Politik dich nicht mehr aufnehmen wollen, ich will es.

Mir kommt die Begegnung Jesu mit dem Zöllner Zachäus in den Sinn. Jesus fordert ihn auf, vom Baum zu steigen und erklärt ihm: „Heute muß ich in deinem Haus zu Gast sein“. Das Ergebnis des Besuches Jesu bei Zachäus schließlich ist beeindruckend: „Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden“.

Gott soll bei mir zu Gast sein, er soll bei mir Mensch werden. Ich mache Platz für ihn, in meinem Haus, in meinem Zimmer, in meinem Herzen. Diese Sehnsucht spürten die Menschen damals, wenn sie die Krippe liebevoll aufbauten, und als schließlich das Verbot nach einigen Jahren wieder aufgehoben wurde und die Krippe auch wieder in der Kirche stand, hielten sie daran fest, auch im eigenen Hause sichtbar Platz zu schaffen für Gott, der für uns und zu unserem Heil Mensch werden will.

Und diese Sehnsucht ist bis heute wach. Während der Krankenbesuche vor Weihnachten fragte ich eine alte, gebrechliche Frau danach, wie es ihr denn geht, und sie sagte: Die Krippe steht. Das ist das Wichtigste. Und an Weihnachten lege ich das Christkindchen feierlich hinein. Hinein in die Wohnung einer alten Frau. Hinein in die Herzen der Menschen.

Mitten hinein in unsere Welt wird Gott Mensch, kommt bei uns an, erreicht uns da, wo wir stehen. Er erreicht unser Glück und unsere Traurigkeit, unser Wollen und Vollbringen, kommt mitten ins Leben. Und er will zu jedem kommen. In alle Milieus. Und fast jeder fühlt sich angesprochen, alle sind vertreten.

Maria, die junge Mutter. Ihr Leben hat sich gerade grundlegend verändert. Auf einmal steht sie in der Verantwortung. Ein Kind wird erwachsen. Aus dem jungen Mädchen aus Nazareth wird die Mutter Gottes. Und Josef, der Handwerker. Er steht im Hintergrund, wacht, paßt auf, sorgt für Mutter und Kind. Er steht mit beiden Beinen fest auf der Erde. Kaum eine Krippendarstellung gibt es, in der er kniet. Nein, Josef hat den Überblick. Er hat die Vaterrolle angenommen. Er ist der Chef. Das muß er sein, das kann er auch. In seinem Handwerksbetrieb, in seiner Familie, er trägt die Verantwortung.

Da sind die Hirten. Menschen von zweifelhaftem Ruf. Ganz arme Schlucker. Sie wohnen draußen unter freiem Himmel. Sie haben kein Dach über dem Kopf, leben von der Hand in den Mund. Menschen ohne festes Dach über dem Kopf sehen als erste, wenn der Himmel sich öffnet und die Erde berührt. Und dann sind da noch der Ochs und der Esel. Wenn ich einen Menschen als Ochsen oder als Esel bezeichne, gilt das als Schimpfwort. Wir glauben, etwas Besseres zu sein als die dummen Tiere, die sich von den Menschen vor den Karren spannen lassen. Aber diese friedfertigen, nützlichen und möglicherweise etwas einfältigen Tiere sind da, als Jesus geboren wird. Die Menschen der Städte Bethlehem und Jerusalem sind nicht da. Hohepriester und Schriftgelehrte haben von dem ganzen Weihnachtsgeschehen nichts mitbekommen. Aber die dienenden Tiere, Ochs und Esel, sie teilen ihr Heim mit Gott, der Mensch wird. Sie stehen nicht zufällig im Stall von Bethlehem.

Im Matthäusevangelium sagt Jesus:  Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Ich möchte meine Wohnung, mein Heim, mein Obdach mit Jesus teilen. Der Ochse und der Esel haben es mir vorgemacht. Sie haben den Stall mit ihm geteilt. Und dann wird aus dem äußeren Zeichen der Krippe in der Wohnung schließlich mehr. Sie wird zu einer Aufgabe.

Als Jesus bei Zachäus zu Gast war, wurde aus dem nahezu herzlosen Zöllner und Betrüger auf einmal ein großzügiger Mensch, der bereit war, den größten Teil seines reichen Besitzes den Armen zu schenken. Nicht nur dem Haus, in dem Jesus zu Gast war, wurde das Heil geschenkt, sondern der Hausherr veränderte sich, weil er Jesus nicht nur in seine Wohnung, sondern auch in sein Herz hineingelassen hat.

Wenn in meinem Haus eine Krippe steht, darf Jesus, der neugeborene Gottessohn, bei mir zu Gast sein. Aber er liegt nicht stumm da in der Krippe. Er sieht mich an und spricht mich an. Du hast mit mir dein Haus geteilt, hast mir einen Platz gegeben. Teilst du auch dein Herz mit mir, läßt mich in dir leben? Das ist die große Frage von Weihnachten. Bewegst du dich? Bist du bereit, dich zu verändern?

Wenn Weihnachten an der Oberfläche bleibt, werde ich irgendwann die Krippe und den Ochsen und den Esel und die Hirten wieder in den großen Karton räumen und auf den Speicher stellen. Alles wird sein, als sei nichts gewesen.

Wenn aber Gott wirklich für mich und für dich und für uns alle Mensch geworden ist, um die Welt zu verändern – und ich mich von ihm ansprechen und schließlich verändern lasse – dann trägt Weihnachten Früchte, dann wird es zu einem besonderen Fest, in dem die Liebe Gottes zu uns Menschen auf einzigartige Weise spürbar wird. Geben wir ihm Raum. Nicht nur in unseren Wohnzimmern, sondern tief in uns drin, in unseren Herzen.

Ich wünsche Ihnen in diesem Sinne ein nachhaltiges Weihnachtsfest.

Amen.