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Glauben (Weißer Sonntag 2002)

Datum:
7. Apr. 2002
Von:
Heinz Büsching

Haben Sie auch unter Ihren nächsten Angehörigen oder im engsten Freundeskreis einen lieben Menschen, oder mehrere, denen der Glaube abhandengekommen ist. Und Sie leiden darunter sehr.

Manchmal geht der Riss mitten durch die Ehe. Der eine glaubt, und der Glaube bedeutet ihm unendlich viel, und dem anderen bedeutet der Glaube nichts oder er scheint ihm nichts zu bedeuten. Und das Nicht-Harmonieren in einer so wichtigen, ja existenziellen Frage kann für Menschen, die sich lieben, eine ständig schmerzende Wunde sein. Der Glaubende, der, dem der Glaube Trost gibt und Rückhalt und Perspektiven und manchmal eine innige Freude, kann es irgendwie nicht fassen, dass der Mensch neben ihm nichts davon spürt oder nichts davon wissen will, cool bleibt.

Dieser Thomas hier im Evangelium. Jesus selbst hatte den Glauben in ihm grundgelegt. Und er gehörte zur ersten begeisterten Jüngergemeinschaft. Er hatte also beides: die echte Christusbeziehung und die gute Gemeinschaftserfahrung. Und auf einmal ist sein Glaube weg. Die anderen glauben. Die anderen glauben mit neuer Begeisterung. Thomas glaubt nicht. Es wird nichts gesagt über die Gründe. Es wird nichts darüber gesagt, warum der Glaube des Thomas weggesackt war. War es Enttäuschung? War es das Entsetzen über die Wunden Jesu, das sich weitete zum Entsetzen über die Wunden der Welt? Lag es daran, dass Thomas sich Auferstehung nicht vorstellen konnte? Wir wissen es nicht. Ich bin sicher, dass Petrus und seine Freunde alles getan haben, um Thomas zu überzeugen. Aber ihr Zeugnis bleibt wirkungslos. Thomas glaubt nicht. Daran ändern auch seine besten Freunde nichts.

Ich denke jetzt einmal an die Eltern, die hilflos zusehen müssen, wie ihre Kinder sich vom Glaubensleben abwenden. Ich denke an die Ehepartner und Freunde, die sich ehrlich darum bemühen, den Menschen neben sich zu überzeugen – und deren Zeugnis wirkungslos bleibt. Ich denke an die Vorwürfe, die gläubige Menschen sich machen. Was habe ich falsch gemacht? Wo habe ich in der Weitergabe des Glaubens versagt? Wo habe ich es an Glaubwürdigkeit fehlen lassen? Müssen wir uns nicht alle jeden Tag diese Frage stellen? Wird uns doch ständig die mangelnde Glaubwürdigkeit vorgeworfen und manchmal um die Ohren gehauen.

Ich möchte diese Kritik sehr ernst nehmen. Ich weiß, wie wichtig die Glaubwürdigkeit ist. Ich verdanke meinen Glauben der Glaubwürdigkeit guter Menschen, die mir in meiner Lebensgeschichte wichtig geworden sind. Und wo es an Glaubwürdigkeit der Umgebung fehlt, da braucht man sich über das Wegsacken des Glaubens nicht zu wundern.

Aber jetzt schaue ich auf dieses Evangelium. Ich kann nicht sehen, dass die Umgebung versagt hat. Ich kann nicht sehen, dass Petrus und seine Freunde hier versagt haben. Offensichtlich haben sie das Menschenmögliche getan, um Thomas zurückzugewinnen.

Aber die letzte Verantwortung liegt bei jedem einzelnen Menschen. Die letzte Entscheidung über sich selbst kann man niemandem abnehmen. Jesus schaut nur auf Thomas. Nur ihn spricht er an. Ein Hinausreden auf andere findet nicht statt.

In der Weitergabe des Glaubens sind wir gewiss zur Glaubwürdigkeit aufgerufen, aber irgendwo sind wir mit unserem Latein am Ende. Irgendwo hat unser Zeugnis eine Grenze.

Doch das Wichtigste kommt noch. Petrus und seine Freunde stoßen den zweifelnden Thomas nicht aus. Sie nehmen ihn immer noch an. Er gehört immer noch dazu. Die Freunde haben Vertrauen auf das Allerwichtigste, nämlich: dass Jesus selbst die Initiative ergreift. Und das tut er ja wirklich. Jesus selbst holt den Thomas zurück. Wann Jesus jemanden zurückholt, das wissen wir nicht. Aber dass er es tut, darauf dürfen wir vertrauen.

Welche Bedeutung für uns, welch tieferer Sinn, welche Botschaft Gottes an uns könnte es sein, dass Menschen, die ich als nachdenkliche und tiefe Menschen erlebe, sich vom Glaubensleben abwenden?

Vielleicht: dass unser Glaube nicht flach wird. Als wenn alles so einfach wäre. Als könne man so zack zack glauben. Als sei es so einfach, mit den Wunden Jesu und den Wunden der Welt und den eigenen Wunden glaubend umzugehen. Ich lerne Respekt vor den eigenen Glaubensnöten. Ich lerne Respekt vor dem Glaubensweg und den Glaubensprozessen eines anderen Menschen.

An wen denken Sie jetzt?