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Gemeinsam erleben, was damals passiert ist ... (Gründonnerstag 2006)

Datum:
13. Apr. 2006
Von:
Christoph Jansen

Liebe Christen,

letztes Abendmahl – das feiern wir heute. Das ist schnell gesagt, zu vertraut… Ist es das? Kann ich verstehen, was da passiert? Nachvollziehen, was die Jünger – und was Jesus so sehr bewegt? Erleben wir einmal gemeinsam, was damals passiert ist.

Vor der Tür eines Saales, den Freunde Jesus und seinen Jüngern zur Pessachfeier zur Verfügung gestellt haben, versammeln sich die 12, Jesus, möglicherweise auch noch einige Freundinnen und Freunde, um das Fest zu feiern. Es ist für die Juden das Fest schlechthin, das Fest der Befreiung. Israel war schon tot, versklavt, ohne Rechte, ohne Zukunft, als plötzlich Gott selbst es aus der Ausweglosigkeit durch vierzig harte Wüstenjahre ins gelobte Land führte. Und das feiert man mindestens so ernst und intensiv wie Weihnachten. Man feiert es zuhause, Nachbarn und Freunde tun sich zusammen. Das Fest gehört in den kleinen Kreis, nicht in den Tempel oder in die Synagoge. Aber anders als unser häusliches Weihnachtsfest hat es festgelegte Riten. Es ist genau vorgeschrieben, wie dieses Mahl gefeiert wird. Und alle wissen es. Jesus, die Jünger, die Freunde.

Am Eingang wäscht der Vorsteher der Feier allen Teilnehmern die Hände. Dieser Vorsteher ist normalerweise der Hausherr, ein Rabbi oder eine in besonderer Weise dafür geeignete Person. Verständlich, dass Jesus den Part übernimmt.

Und schon hier an der Tür setzt er die Tradition außer Kraft. Denn Jesus besteht darauf, den Teilnehmern nicht nur die Hände, sondern auch die Füße zu waschen. Das ist nicht Aufgabe des Hausvaters. Reiche Familien haben dafür Hausdiener und Sklaven. Jesus fällt vor allen auf die Knie. Er macht sich zum Diener aller. Alle sind ratlos, Petrus wehrt sich, aber Jesus lässt sich diese Aufgabe nicht nehmen.

Im Saal am Tisch spüren alle, dass dies hier kein normales Pessachmahl wird. Man hält sich an Traditionen, denkt an die weit zurückliegenden Anfänge der Geschichte Gottes mit seinem Volk und will sich nicht ablenken lassen dabei.

Langsam kehrt wieder Ruhe ein. Jesus spricht die ersten Gebete. Das Licht wird entzündet. Jesus stimmt den Lobpreis des Festes, den Kiddusch an. Danach wird der erste Becher eingeschenkt und getrunken. Insgesamt sind es vier Becher mit Wein, die zu dem Fest gehören. Grünes Kraut und Bitterkräuter stehen auf dem Tisch, dazu ein besonderes Fruchtmus, das es nur zum Pessach gibt. Das Brot wird hereingebracht, Jesus spricht die Gebete und der Jüngste, wahrscheinlich Johannes, stellt die traditionellen Fragen.

Warum ist diese Nacht anders als andere Nächte?

Warum essen wir dieses ungesäuerte Brot?

Warum essen wir bittere Kräuter?

Warum feiern wir heute Abend dieses Pessach-Fest?

Die großartige Antwort auf diese Fragen ist der biblische Bericht vom Exodus. Wir werden ihn - zumindest in Auszügen – in der Vigil der Osternachtfeier hören, die an dieses Geschehen angelehnt ist.

Nach der biblischen Erzählung, die eine Stunde dauern kann, wird der zweite Becher eingeschenkt und getrunken. Bei Jesu Jüngern ist möglicherweise gerade eine gewisse Erleichterung eingekehrt, weil das Fest anscheinend nach dem Eklat vom Anfang seinen gewohnten Verlauf nimmt.

Jesus segnet Brot, Fruchtmus und Bitterkraut. Das Brot erinnert an das Manna in der Wüste, das Gott seinem Volk schenkte, damit es überleben kann und genug Kraft für den Weg hat, der vor ihm liegt.

Jesus bricht das Brot in viele kleine Teile, so dass jeder Teilnehmer an diesem Mahl aus seiner Hand ein Stück bekommt. Und da bricht es aus ihm heraus: Das ist mein Leib, der euch gegeben wird, für euch hingegeben. Das ist nicht mehr das Mahl der Erinnerung.

Die Jünger sind jetzt in der Wüste. Und jetzt sind sie dabei, zu verhungern. Und Gott verhindert es, indem er ihnen Jesus gibt. Genauer: Indem Jesus sich selbst ihnen gibt. Genauso, wie du dieses Brot zum Leben brauchst, brauchst du mich. Jesus will für uns Brot sein. Er will lebensnotwendig werden für jeden von uns.

Judas verlässt den Kreis, er erträgt das nicht. Das ist zu verrückt. Das ist nicht Pessach, das ist einfach nur krank. Die Beziehung zwischen Jesus und Judas ist schon vorher zerbrochen, jetzt hat der Jünger die Bestätigung. Dieser Jesus ist nicht der Messias, er ist verrückt geworden.

Nach dem Essen des Brotes wird das Osterlamm angeschnitten und serviert. Sicher schmeckt es den Jüngern nicht so wie sonst. Sie sind verwirrt. Sie spüren, dass der Ernstfall eingetreten ist, der Ernstfall der Entscheidung. Jesus formuliert Sätze neu, die Gott selbst zugeschrieben werden. Er verändert uralte Formeln. Lästert er Gott oder ist er Gott? Es gibt kein vielleicht mehr. Es gibt nur noch radikale Nachfolge oder völlige Entfremdung. Dazwischen – nichts mehr. Dieses Osterlamm ist für die Jünger schwer verdaulich.

Und dann wird der dritte Becher ausgeschenkt. Das ist mein Blut. Für euch und für alle vergossen. Der Wein ist rot, blutrot. Jesus hat seinen Tod vor Augen. Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken. Es gibt noch einen vierten Becher, der normalerweise zum Schluss getrunken wird. Dann spricht der Hausvater den Segen.

Ich weiß es nicht, aber ich kann mir denken, Jesus und seine Jünger sind wohl über den dritten Becher nicht hinausgekommen. Jesus sagt zum Schluss nicht die Worte Aarons: „Der Herr segne euch und behüte euch, er lasse sein Angesicht über euch leuchten und sei euch gnädig, der Herr erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch Frieden“, sondern er sagt: Bleibt hier und wachet mit mir, wachet und betet.

Jesus beendet sein Leben mit diesem Mahl des Aufbruchs. In der Nacht wird er festgenommen. Jetzt lebt er nicht mehr, er wird gelebt. Jetzt hat er scheinbar alle Freiheit verloren, gibt sich in fremde Hände. Beim Mahl nimmt er sich noch einmal alle Freiheit, und er schenkt sie seinen Jüngern weiter. Tut dies zu meinem Gedächtnis.  

Indem Jesus stirbt, wird Gott erst ganz Mensch. Denn niemand, der lebt, entgeht dem Tod. In Jesus besucht Gott nicht seine Geschöpfe, er wird Geschöpf. Er identifiziert sich mit uns, ganz und gar, mit unseren Freuden und Ängsten, mit unserem Leiden und Sterben. Er nimmt sein Mensch- sein ernst, ernster als das je für möglich gehalten wurde. Im Verletzten, Gefolterten schließlich erkennt niemand mehr wirklich Gott. Pilatus spricht aus, was alle denken. Für ihn gibt es ohnehin keinen Messias, er ist Römer, nicht Jude.

Am Ende steht Jesus da nicht als Retter, nicht als Heiland, Messias oder König. Pilatus spricht aus, was er denkt, was er sieht. Seht! Ein Mensch!                          

Amen.