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Fehler und Macken (10. Sonntag im Kirchenjahr 2002)

Datum:
9. Juni 2002
Von:
Heinz Büsching

Ich habe immer unter den Fehlern der Kirche gelitten. Schon als Kind habe ich mich über die Macken meines Pastors geärgert. Christen in meiner Umgebung haben versagt, und es ist mir nicht verborgen geblieben. Selbst der zu meiner Kinderzeit in Deutschland überaus beliebte Papst Pius XII. wird inzwischen heiß kritisiert; ob zu Recht oder zu Unrecht, ich weiß es nicht.

Als Student habe ich mich intensiv mit Kirchengeschichte befasst, und dabei bin ich unzähligen Zöllnern und Sündern begegnet: auf päpstlichen Thronen, auf bischöflichen Stühlen, aber auch in gewöhnlichen Haushalten und auf den Marktplätzen des christlichen Abendlandes. Nie bin ich blauäugig gewesen vor den Sünden der Kirche. Immer habe ich darunter gelitten und leide darunter bis zum heutigen Tage.

Warum bin ich denn nicht aus der Kirche ausgetreten? Warum bin ich sogar Pastor geworden?

Vielleicht weil ich – ebenfalls von Kindheit an – mit dem Evangelium wie diesem hier vertraut bin: "Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken." "Ich bin gekommen, um die Sünder zu berufen, nicht die Gerechten."

Das Evangelium zitiert als Beispiel den Zöllner Matthäus. Er galt als berufsmäßiger Betrüger. Jesus holt ihn in sein Team. Als weitere Beispiele benennt das Evangelium die zwielichtigen Gestalten, die Zöllner und Sünder, nicht zu vergessen die Sünderinnen, mit denen Jesus sich an einen Tisch setzte. Die gesetzestreuen Frommen waren empört und nahmen es als Beweis, dass Jesus nicht von Gott sein könne. Sie empfanden, dass der Umgang Jesu mit der Heiligkeit Gottes nicht zu vereinbaren sei.

Ist das nicht auch unser Empfinden? Leute, die gegen Gesetz und Gebot verstoßen – widersprechen sie nicht der Heiligkeit Gottes? Doch wem lag Gottes Heiligkeit schon so am Herzen wie diesem Jesus von Nazaret? Seine Botschaft war klar und fordernd: "Kehrt um!" "Komm und folge mir nach!" "Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!" Den Geheilten sagte er: "Sündige nicht mehr!"

Aber Jesus kannte die Herzen. Ich habe ihnen eben eines der Schlüsselworte seiner frohen Botschaft vorgelesen: Barmherzigkeit.

Ja, es gibt den schnellen Sieg in der Versuchung. Es gibt den schnellen Entschluss zur guten Tat. Es gibt vielleicht sogar den Irrweg, den man sogleich verlassen kann. Aber es gibt auch die böse Gewohnheit, die man nicht so einfach abschüttelt. Es gibt die verfahrene Situation, aus der man nicht mit einem Sprung herauskommt. Es gibt das verhärtete Herz, das nicht von jetzt auf gleich gütig und milde wird.

Da erweist sich Gottes Heiligkeit darin, dass er barmherzig ist. Petrus war mit Begeisterung Jesus nachgefolgt. Als es gefährlich wurde, fiel er vom Glauben ab; da krähte der Hahn. Jesus war ihm barmherzig. Die Apostel hatten sich mit Feuereifer der Sache Jesu verschrieben. Als Jesus verhaftet wurde, gingen sie alle laufen. Jesus war ihnen barmherzig. Nach seiner Auferstehung sagte er zu Petrus und den Aposteln: Friede sei mit euch.

Zur frohen Botschaft Jesu gehören die Wachstumsgleichnisse: vom Samen, der Zeit braucht, um aufzugehen und Frucht zu bringen; vom kleinen Senfkorn, das schließlich doch ganz groß wird; vom Unkraut unter dem Weizen, das man nicht vorschnell ausreißen darf.

Die Wachstumsgleichnisse meinen nicht nur die Bewegung, die Jesus in der menschlichen Geschichte ausgelöst hat. Sie meinen auch das Wachsen des Reiches Gottes IN UNS; in unserem Innern; in unserem Charakter; in unserem persönlichen Verhalten. Gutes muss wachsen. Wenn Gott Geduld mit uns hat und wachsen lässt, dann müssen auch wir miteinander Geduld haben und wachsen lassen.

Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist.

Wenn die Kirche nicht mehr Zuflucht der Sünder wäre; wenn sie die Anfänger nicht mehr annehmen würde, wenn sie nicht mehr wachsen ließe, dann wäre sie nicht mehr die Kirche Jesu Christi. Eine Elitekirche, eine Kirche, zu der nur perfekte Christen Zutritt hätten, wird gefordert von Leuten, die Jesus nicht kennen.

Aber die Kirche ist ja nicht nur Zuflucht der Sünder. Sie ist auch die gläubige Gemeinde, die mir auf vielfältige Weise Jesus gegenwärtig werden lässt, faszinierend, tröstlich, tragend. Sie ist das Ackerfeld, auf dem der Same aufgeht und Senfkörner zu Bäumen werden, die sich nach dem Himmel ausstrecken. Denn Kirche ist auch die Kirche des heiligen Franziskus, der Mutter Teresa und der unzähligen kleinen Heiligen des Alltags; immer wieder bin ich ihnen begegnet.

Nur: die vielen Anfänger und nur mäßig Fortgeschrittenen verderben der Kirche ständig das Image; denn die Welt interessiert sich mehr für Versager als für Heilige. Und so werden wir bis ans Ende der Zeiten unter den Fehlern der Kirche leiden.

Wer mag wohl alles unter meinen Fehlern leiden? Wer unter Ihren? Ich gehöre zu denen, die auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen sind. Und auf Ihre. Wie ist das mit Ihnen?

Mt 9, 9 - 13

9 Als Jesus weiterging, sah er einen Mann namens Matthäus am Zoll sitzen und sagte zu ihm: Folge mir nach! Und Matthäus stand auf und folgte ihm nach. 10 Und als Jesus in seinem Haus bei Tisch war, siehe, viele Zöllner und Sünder kamen und aßen zusammen mit ihm und seinen Jüngern. 11 Als die Pharisäer das sahen, sagten sie zu seinen Jüngern: Wie kann euer Meister zusammen mit Zöllnern und Sündern essen? 12 Er hörte es und sagte: Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. 13 Geht und lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer! Denn ich bin nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder.