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Die Wahrheit ist: Am Ende steht Gott ... (Karfreitag 2010)

Datum:
2. Apr. 2010
Von:
Christoph Jansen

Das Kreuz steht im Mittelpunkt. Karfreitag – Tag der Kreuzigung. Kreuz-Tag. Bei der Kreuzverehrung gehen wir zum Kreuz, knien uns vor ihm nieder. Unser Gott begegnet uns in Jesus am Kreuz, in einem sterbenden Menschen. In einem Sterbenden Gott sehen – kann ich das?

Schon zur Zeit Jesu war das eine Zumutung, etwas ganz anderes, etwas Neues. Götter sind nicht gestorben. Götter – das waren die Unsterblichen. Deshalb war Jesu Tod am Kreuz für seine Gegner der Beweis dafür, dass Jesus nicht von Gott kommt. Was von Gott kommt, stirbt nicht.

Wie ist es aber dann möglich, dass nur 300 Jahre nach Christi Tod die alten Götter verschwinden und mehr und mehr abgelöst werden von Jesus, dem Mann, der am Kreuz stirbt? Was bewegt uns so sehr an dem sterbenden Jesus, dass wir ihn viel öfter sterbend am Kreuz darstellen als in irgendeiner anderen Situation seines Lebens und Auferstehens?

Ich glaube, es ist das durch und durch Menschliche, das uns im sterbenden Jesus begegnet. Dieser Jesus stirbt. Er drückt sich nicht um die größten Ängste unseres Lebens herum. Und eine ganz verbreitete Angst ist doch die Angst vor dem Tod, die Existenzangst.

Was, wenn ich nicht mehr bin? Wer bin ich, wenn ich tot bin? Jesus stellt sich dieser Angst. Am Kreuz fühlt er sich von Gott verlassen. Er teilt unsere Angst.

Jene Götter von damals, die Götter der Griechen und Römer, sie haben das nicht getan. Sie waren unsterblich, privilegiert, abgehoben. Die Endlichkeit ist möglicherweise das Menschlichste in unserem Leben. Das Leben der Unsterblichen war nicht endlich. Es ging einfach nur immer weiter. Wenn es Wesen gibt, die unsterblich sind, beflügelt das die Phantasie der Menschen. Viele Sagen und Legenden sind überliefert, die sich mit den alten Göttern beschäftigen. Weil diese Götter nicht sterben konnten, wurden sie den Menschen fremd. Mehr und mehr setzte sich die Überzeugung durch, dass die Götter sich nicht mehr um die Menschen kümmern, sondern nur noch um sich selbst kreisen. Die Legenden, die sich um sie rankten, verkamen zu unverbindlichen Geschichten, die irgendwann uninteressant wurden, weil sie nichts mehr mit den sterblichen Menschen zu tun hatten.

Abgeschafft wurden die alten Götter nie. Aber als sich niemand mehr um sie kümmerte, als niemand mehr von ihnen redete, wurden sie bedeutungslos. Ein Leben, das nicht endet, das einfach nur immer weiter geht, wird sinnlos, unverbindlich, langweilig. Weil sich niemand mehr für sie interessierte, sind die Unsterblichen schließlich irgendwann von der Bildfläche verschwunden.

Ganz anders als der Gott der Juden, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Er ist ein liebender Gott. Die Menschen, denen er begegnet, bleiben Menschen, werden nicht zu Halbgöttern oder Göttern. Aber sie sind – trotz ihrer Fehler und Schwächen – Freunde dieses anderen Gottes. Abraham, Moses, die Propheten, König David – das sind alles keine Götter oder Gott ähnliche Wesen, sondern Menschen mit Fehlern und Schwächen. Da gibt es keine strikte Trennung mehr in oben und unten, sondern Gott und sein Volk gehen ihren Weg gemeinsam. Der Auszug aus Ägypten, jene 40 Wüstenjahre, in denen Gott und die Menschen gemeinsam denselben Weg gehen, halten das Volk Israel daher bis heute zusammen, sind Identitätsstiftend für eine religiöse Überzeugung, die stärker war als die Religion der Griechen und Römer.

Und dieser Gott geht in seiner Liebe zu den Menschen noch weiter. In Jesus Christus wird er selber Mensch. Als Mensch lebt er – und als Mensch stirbt er. Und so geht er mit uns – wie damals mit seinem Volk durch die Wüste – durch unser Leben. Als einer von uns. Als einer, der stirbt, geht er weiter, als jeder Mensch gehen kann. Petrus macht seine leidvollen Erfahrungen, als er seinen Freund begleiten will und ihn schließlich verleugnen muss. Erst im Tod Jesu wird Gott ganz menschlich, wird er wirklich einer von uns, genauso verletzlich, genauso schwach, genauso hilflos wie wir es auch sind.

Wenn ich also vor dem Kreuz stehe, wenn ich den Leidenden und Sterbenden vor mir sehe, dann werde ich mit meiner eigenen Wirklichkeit konfrontiert. Ich bin endlich. Mein Leben dauert nicht ewig. Und diese Endlichkeit macht mich aus, macht mich erst menschlich. Denn durch diese Endlichkeit wird jede Stunde meines Lebens zu einem unfassbaren Geschenk, unendlich wertvoll und großartig.

Graf von Krolok singt im Musical „Tanz der Vampire“: „Gott ist tot, nach ihm wird nicht mehr gesucht. Wir sind zum ewigen Leben verflucht“ Ein Leben auf Erden, das niemals endet, sondern sinnlos immer weitergeht, wäre die Hölle.

Die Wahrheit ist: Am Ende steht Gott. Er begleitet uns auch dann noch, ja gerade dann, wenn unser Leben zu Ende geht. Er bleibt der Jahwe, der „Ich bin da“ für uns. Immer. Und unser Leben mündet nicht hinein in eine sinnlose Endlos-Schleife, sondern in die Fülle. Das ist ja das Faszinierende: Indem wir im Gebet einen Menschen vor Augen haben, der stirbt, wird unser Glaube sinnvoll, sinnstiftend.

Anders als jener Glaube der Antike an Götter, die auch nicht besser sind als Menschen, die eben nur niemals sterben. Dieser antike Glaube hat sich überlebt, er ist erwiesenermaßen sinnlos. Ganz anders der sterbende Jesus, den wir heute feiern. Er fragt mich in meiner Endlichkeit an: Was machst du mit deiner so wertvollen Zeit? Arbeitest du daran, dass sie in die Fülle mündet? Lebst du in deinem Leben Nächstenliebe, Menschlichkeit? Gehst du mit jenen, die Dir etwas von ihrer Zeit schenken, zutiefst dankbar um, weil ihre Zeit – wie deine - ein endliches und daher sehr wertvolles Gut ist? Hast du Ehrfurcht vor dem Leben, vor deinem eigenen und vor dem der anderen, gerade weil es so zerbrechlich ist? Oder verdrängst du deine eigene Menschlichkeit, deine eigene Endlichkeit, fühlst dich unsterblich? Das kannst du gerne tun. Dann häng alle Kreuze ab von deinen Wänden, verbanne den sterbenden Gott aus deinem Leben, wenn du ihn nicht ertragen kannst. Viele haben das längst getan.

Wir haben tatsächlich die Freiheit, unsere Kreuze abzuhängen, den sterbenden Christus aus unserem Leben zu verbannen, am Ende auch den Tod, die eigene Menschlichkeit und Endlichkeit, zu verdrängen. Aber wenn wir das tun, ist das ein Armutszeugnis. Denn damit betrügen wir uns selbst.

Ich glaube an einen Gott, der mich liebt. Und wer mich liebt, der betrügt mich nicht. Er ist ehrlich zu mir. Und er sagt mir am Karfreitag: Wie Jesus gestorben ist, wirst auch du einmal sterben. Aber genau so, wie sein Leben in die Fülle mündet, erwartet auch dich Leben in Fülle.

Amen.